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Literatur, Rezensionen & mehr

Intermezzo XIII

Intermezzo XIII

Catherine Steadman – Something in the Water

Catherine Steadman - Something in the water. Im Sog des Verbrechens

Für Erin und Mark sieht die Zukunft rosig aus: Die Dokumentarfilmerin und der Finanzexperte wollen heiraten, Kinder kriegen, traumhafte Flitterwochen verbringen. Erin hat noch dazu ihr erstes großes Soloprojekt an Land gezogen und kann sich damit einen Namen in der Branche machen. Doch dann bröckelt die Fassade: Mark verliert seinen Job, sucht hektisch etwas Neues und aus Mr. Charming wird ein misstrauischer Partner. Erin macht das neue Projekt zu schaffen: Sie interviewt einen sehr erfolgreichen Verbrecherkönig, der ganz offen signalisiert, dass er trotz Zelle bestens über sie informiert ist.

Während ihrer Flitterwochen auf Bora Bora stoßen Erin und Mark beim Tauchen auf Treibgut, das sie besser nicht gefunden hätten. Neugierig schauen sie nach, was es ist und entscheiden sich, es zu behalten. Das ruft ein Verbrechersyndikat auf den Plan und Erin und Mark retten sich in Lügen, um ihr Leben zu retten.

Catherine Steadman treibt ihren Thriller gekonnt voran. Immer erzählt aus der Perspektive von Erin, sodass der Leser (selbst nach einem verräterischen Intro) nie den gesamten Überblick bekommt. Erin und Mark müssen das Treibgut unauffällig „verschwinden“ lassen. Doch dabei schleichen sich Fehler ein, die korrigiert werden müssen und Manöver müssen improvisiert werden, die hoffentlich niemandem auffallen. Auch nicht der Polizei, die Erin wegen ihres Filmprojekts natürlich durchleuchtet. Und eines Tages sieht es so aus, als hätte das Syndikat herausgefunden, wo Erin und Mark stecken. Das ist alles insgesamt spannend verschachtelt und liefert gute Thrillerunterhaltung für das Wochenendsofa.

Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass wir keine Spur hinterlassen haben. Aber andererseits geht es bei einem Fehler doch genau darum: Man weiß nicht, dass er einem unterlaufen ist, stimmt’s?

Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-23529-7
Originaltitel: Something in the Water
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzung: Stefan Lux

Ian McEwan – Die Kakerlake

Ian McEwan - Die Kakerlake

Wir wissen noch aus dem Film Men in Black, dass Kakerlaken nicht zu unterschätzen sind, nicht wahr? Im Roman von Ian McEwan treiben sie in Großbritannien ihr Unwesen.

Fast jeder im Kabinett teilte seine Ansichten. Weit wichtiger aber — und bis zu diesem Augebnlick hatte er nichts davon geahnt —, sie teilten seine Herkunft.

In der Haut von Premierminister Jim Sams und einer Vielzahl von Kollegen stecken nämlich Kakerlaken, die alles daran setzen, eine Volksabstimmung politisch umzusetzen. Die Abstimmung war schon umstritten, die Umsetzung ist es noch viel mehr. Das Land isoliert sich im internationalen Rahmen zunehmend und hält dennoch trotzig an seinem Alleingang fest.

McEwans Botschaft zielt klar auf den Brexit. Im Buch ersetzt er ihn durch die wahnwitzige Idee, den Geldfluss umzukehren. Man erhielte also zum Beispiel für den Konsum verschiedener Produkte Geld, müsste die Gewinne aber in seinen Arbeitsplatz investieren und dürfte es nicht anhäufen. Das nennt sich Reversalismus. Mit der Erwähnung echter historischer Ökonomen versucht das Buch, den Reversalismus trickreich als reale historische Idee zu etablieren. Dass die Volksabstimmung zugunsten dieses Systems ausgefallen war, entlarvt die vorgängigen Kampagnen als reine Stimmungsmache mit Ängsten: Wenn sich so etwas wahrhaft Beklopptes durchsetzt, hat das Abstimmungsverhalten nichts mit echten Wirtschaftszahlen, Fakten, Visionen oder Realitäten zu tun.

Nebenher lässt McEwan ein paar Gepflogenheiten des britischen Abstimmungssystems als Farce auffliegen und zeigt, wie schnell sich Medien in der aufgeheizten Stimmung vergackeiern lassen.

Alleine der Reversalismus-Einfall ist so närrisch, dass es die Figur der Kakerlake schon fast nicht gebraucht hätte, um die Politsatire zu schreiben und die Einschätzung zu illustrieren. Aber die Kakerlaken sollen wohl sein, denn sie fühlen sich nur im Chaos wohl, im Unrat und Schmodder und den versucht die Spezies, über den Reversalismus zu ihrem Vorteil zu erreichen (nicht nur in Großbritannien, auch in den USA, wie eine kleine Szene verrät). Das alles liest sich hervorragend, keine Frage, gleichzeitg hinterlässt der Vergleich mit Ungeziefer — Kafka hin oder her — einen deutlich weniger hervorragenden Beigeschmack. Ian McEwan war wohl extrem sauer, als er sein Buchkonzept so ausufern ließ und das knabbert schon an der Brillanz der Satire, die unter dem Insektenpanzer steckt.

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07132-0
Originaltitel: The Cockroach
Erstveröffentlichung: 2019
Deutsche Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzung: Bernhard Robben

Delphine de Vigan – Loyalitäten

Delphine de Vigan - Loyalitäten

Auch das dritte Buch ist nicht sehr lang (171 Seiten), dafür in dieser Auswahl das intensivste. Delphine de Vigan erzählt die Geschichte von Théo, einem zwölfjährigen Schüler in Paris. Seine Eltern haben sich getrennt. Während die Mutter versucht, sich so gut es geht beruflich und familiär über Wasser zu halten, verliert der Vater seinen Job und verbringt seine Tage mit Alkohol. Die Eltern vermeiden jeglichen auch noch so kleinen Kontakt miteinander. Théo muss bei seiner Mutter duschen, sobald er vom Vater heimkommt, während er sich bei ihm darum kümmert, dass der überhaupt aufsteht und seine Medikamente nimmt.

Sein einziger Freund ist Mathis, mit dem er in der Schule durch dick und dünn geht. Und dazu gehört auch die Flucht, die sich Théo aus seinem bedrückenden Alltag gewählt hat: Der Junge trinkt und träumt von einer Bewusstlosigkeit, die ihn aus seinem unsäglichen emotionalen Ritt holt. Mathis trinkt mit.

Nur zwei Menschen merken, dass etwas nicht stimmt. Die Lehrerin Hélène und Mathis‘ Mutter Cecile. Delphine de Vigan lässt die beiden Frauen aus der Ich-Perspektive berichten, während die Passagen über Théo und Mathis auktorial erzählt werden. Vor allem bei Hélène intensiviert das den Eindruck von ihrem Engagement. Sie ahnt den Abgrund in Théo, weil sie selbst Gewalterfahrungen hat und in der ganzen Haltung des Jungen ihr früheres Ich wiedererkennt.

Aber hier kommen die Loyalitäten ins Spiel. Cecile und Hélène haben nichts in der Hand außer ihren Ahnungen und niemanden, mit dem sie sich ernsthaft austauschen können. Praktisch können nur Théo oder Mathis den Wirbel stoppen. Doch wann holt man sich Hilfe, wann ist es Verrat? Théo will seine Familie aus allem heraushalten, niemand soll wissen, wie es um sie bestellt ist. Mathis fürchtet um die Freundschaft. Sie sind mit ihrer Situation völlig überfordert. Das auf ihr Alter zu schieben, lässt Delphine de Vigan nicht zu: Den meisten Erwachsenen in ihrem Roman geht es in dieser Hinsicht nicht wirklich besser.

Verlag: DuMont
ISBN: 978-3-8321-8359-2
Originaltitel: Les Loyautés
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Doris Heinemann

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