Das Bloggen über Vorschauen hatte ich in den letzten drei Jahren vernachlässigt. Nicht etwa, weil ich nichts davon gelesen hätte oder die Vorfreude gefehlt hätte. Ach, ich fand eine Weile lang, dass ich nicht unbedingt drüber schreiben müsse. Andrere sprechen über Leseflauten, bei mir war es die eben die Über-Vorschauen-bloggen-Flaute.
Das gilt für den Herbst 2020 nicht mehr. Ich habe natürlich mit Freude in den Ankündigungen geblättert. Aber dass ich meine (hoffentlichen) Highlights wieder vorstelle, liegt in gewisser Weise an Marius, der den Blog Buch-Haltung füttert. Auslöser war ein Twitter-Austausch:
Habt ihr das Stichwort Bibliodiversität gesehen? Ich habe Lust, das mit mehr Leben zu füllen. Marius‘ Auswahl für den Herbst findet ihr unter Vorschaufieber: Der literarische Herbst 2020. Zur Diversität in unseren Blogs, bei Titeln, Verlagen und Autor:innen trage ich hiermit bei:
Irene Diwiak – Malvita (→ zur Rezension)
Christina soll in Italien auf der Hochzeit ihrer Cousine fotografieren; sie kennt die Familie eigentlich nicht und was sie sieht, ist beeindruckender Reichtum und enormer Einfluss. Eine scheinbare Idylle, die mit viel Druck aufrecht erhalten wird, wo „man sich wenig Mühe gibt, den Eingang zur Hölle zu verstecken.“ Nicht überall, wo „Schön“ draufsteht, ist auch Schön drin. / Zsolnay
Mieko Kawakami – Brüste und Eier (→ zur Rezension)
Drei Frauen, die mit ihren Rollen nicht zurecht kommen, in der Pubertät, dem zunehmenden Alter oder der Kinderlosigkeit. Eine Geschichte über die Diskriminierung von Frauen und damit einhergehenden Fragen nach diversen „Normen“. Welchen Wert haben Frauen in der Gesellschaft, wenn sie sich den Erwartungen widersetzen? Für mich klingt das nach einer perfekten Weiterführung der Fragen, die Sayaka Murata in Die Ladenhüterin aufgeworfen hattte. / DuMont
Zaia Alexander – Erdbebenwetter (→ zur Rezension)
Ein moderner Hexenroman, heißt es, mit Kojoten in L.A. und einer unheimlichen Hitze, die an den Nerven zehrt. Was mir auffällt: Dahinter könnte ein Roman stecken, der mit einem kleinen Ausbruch aus dem Alltag neue Perspektiven zeigt: „Lou erkennt, dass es Ausfahrten und Schlupflöcher im vermeintlich festgelegten Koordinatensystem des Lebens gibt.“ / Tropen
Lauren Wilkinson – American Spy (→ zur Rezension)
Marie Mitchell, jahrelang die einzige schwarze Frau unter weißen Männern, als Geheimagentin beim FBI … für Papierkram. Doch ein Einsatz in den 1980er holt sie Jahre später ein und ändert komplett ihren Blick auf alles, was sie bisher zu wissen glaubte. Der Verlag verspricht einen „mutigen und zeitgemäßen“ Spionageroman. / Tropen
Joachim B. Schmidt – Kalmann (→ zur Rezension)
„Er ist der selbsternannte Sheriff von Raufarhövn,“ dieser Kalmann, im isländischen Einöd. Eine Blutlache passt da nicht ins Bild und was diese auslöst, überrollt alles, was man in der Einöde braucht und kennt. Ich erwarte einen Sturm, der Lebenswelten aufbricht, durcheinanderwirbelt und dann so verschwindet, wie Stürme es tun: Man geht, alles überstanden, wieder seines Weges. / Diogenes
Luis Sepulveda – Tagebuch eines sentimentalen Killers
Ein alternder Profikiller nimmt seinen hoffentlich letzten Auftrag an und ausgerechnet da macht er Sachen, die er sonst professionell vermieden hat: Liebeleien anfangen und Aufträge hinterfragen. Das bringt ihn selbst in Gefahr und man verspricht mir „augenzwinkernden Humor“. / Kampa
Georges Simenon – Aus den Akten der Agence O
Ein Non-Maigret um Torrence, einen ehemaligen Maigret-Mitarbeiter, der inzwischen bei der legendären Privatdetektei Agence O tätig ist. Nur mit Maigrets legendärem Scharfsinn kann Torrence nicht mithalten, weshalb er den Chef nach außen hin nur spielt. Kopf der Organisation ist ein Fotograf namens Émile. / Kampa
Linda Scott – Das weibliche Kapital
Wie löst man das Ungleichheit zwischen Arm und Reich auf? Scott beschreibt, wissenschaftlich basiert, wo die Politik tatsächlich ansetzen muss: Bei den Frauen. „Die Gleichstellung der Geschlechter ist kein Luxusprojekt des reichen Westens, sondern der aussichtsreichste Schlüssel zur Armutsbekämpfung.“ / Hanser
Eva Sigmund – Sodom
Ich habe Lust auf Thriller plus Science Fiction und Sodom, angesiedelt in einem zukünftigen Berlin, könnte die Lösung sein. Illegale Prothesen auf der einen Seite, die Polizei auf der anderen? Naja: Birol will den Tod seines Vaters rächen, mit einem Team aus der zum Strafdienst verurteilen Raven und einer schüchternen Polizeischülerin, die älteren Kollegen sind entweder faul oder korrupt, oder beides. / Knaur
Ryan Gattis – Das System
Gattis hatte mich mit seinem vielschichtigen und rasanten Safe begeistert und nun gibt es schon Neues. Der Mord an einer Dealerin wird zwei unschuldigen Gangmitgliedern in die Schuhe geschoben. Während sie auf den Prozess warten, wollen sie über Freunde herausfinden, wer den Verdacht auf sie gelenkt hat und warum. / Rowohlt
David Schalko – Bad Regina
Eine einst glamuröse Stadt in den Alpen, die Stück für Stück von einem chinesischen Immobilientycoon aufgekauft wird, damit sie zerfällt. Lange dauert es, bis jemand herauszufinden versucht, was der Chinese eigentlich vorhat. Inspiriert von dem Schicksal Bad Gasteins, verspricht man mit einen bitterbösen Roman über ein Europa, das immer wieder moralisch versagt und über dessen Zukunft nun andere entscheiden. / Kiepenheuer & Witsch
Mercedes Spannagel – Das Palais muss brennen
Die korrupte rechte Elite wird von ihrer rebellischen Brut zu Fall gebracht, heißt es. Die rechtskonservativen Bundespräsidentin Österreichs kauft sich einen Windhund, also holt sich deren Tochter einen Mops namens Marx. Was die junge Generation der alten entgegensetzen will, macht mich sehr neugierig. / Kiepenheuer & Witsch
Marissa Stapley – Sommer der Lügen
Harmony Resort als letzte Rettung verkorkster Beziehungen. Doch Harmony ist nicht das, was es scheint und irgendwie erinnert mich das an Neun Fremde, was mir doch sehr gut gefallen hatte. Ich erwarte sicher nicht dieselbe Leichtigkeit, dafür eine neue Perspektive auf diverse Beziehungsfragen. / rororo
Sascha Reh – Großes Kino
Ein Sozialarbeiter bringt sich so sehr in Schwierigkeiten, dass ein Clanchef Gefälligkeiten einfordert: Schulung in gewaltfreier Kommunikation und Hilfe bei einem Immobiliengeschäft. Das klingt ähnlich absurd und komisch wie Achtsam morden. Sieht ganz so aus, als müsste auch hier jemand außerhalb seiner üblichen Methoden den Kopf aus der Schlinge ziehen. / Schöffling
Graham Moore – Verweigerung (→ zur Rezension)
Justizkrimis können sehr spannend sein, wie ich zum Beispiel bei Vor der Wahrheit gelernt habe. Hier geht’s um die verschwundene Erbin eines Immobilienmoguls und den deswegen angeklagten Privatlehrer, einen Afro-Amerikaner. Zehn 10 Jahre nach dem Freispruch wird der Fall neu aufgerollt: Ein ehemaliger Geschworener wird tot aufgefunden und lässt alles in neuem Licht erscheinen. / Eichborn
Becky Smethurst – Das kleine Buch vom großen Knall
Wer es schafft, die Geschichte der Welt seit dem Urknall auf 128 Seiten zu erzählen, verdient auf alle Fälle eine Erwähnung. Smethurst ist Astrophysikerin in Oxford und kümmert sich um Dunkle Materie, Schwarze Löcher, Schwerkraft und natürlich Außerirdische. / dtv
Tim MacGabhann – Der erste Tote
Zwei Journalisten schreiben vermeintlich ein Routinestück über die Ölindustrie im mexikanischen Poza Rica, wo ein amerikanischer Konzern einsteigt. Sie stolpern über einen toten Umweltaktivisten, Julían Gallardo. Ihre Nachforschungen bringen sie in Lebensgefahr. Als einer von beiden stirbt, hat der andere wegen seiner Recherchen plötzlich Polizei, Militär und Kartelle gegen sich. Ein Krimi, ja, aber vielmehr wohl auch ein bedrückend gutes Bild über die korrupten Verflechtungen des Landes. / Suhrkamp
Raymond Queneau – Zazie in der Metro
Eine Leselücke, die ich immer noch nicht gefüllt habe. Warum sie hier auftaucht? Wegen dieser Ankündigung: „Nach sechzig Jahren kommt Zazie in dieser erweiterten Ausgabe des Romans erstmals wirklich in die Metro.“ Ich will wissen, was hinter der Erweiterung des bisherigen Endes steckt. / Suhrkamp
George Orwell – 1984
Auch das eine Leselücke und ich vermute, eine komplette Neuübersetzung von Eike Schönfeld ist ein Anlass, sich endlich einmal mit diesem Klassiker zu befassen. / Insel
Julia Deck – Privateigentum
Frisch zuhause hochmodernen Eigenheim in der Vorstadt und „alle merken zu spät, dass ihre blitzsaubere Ökosiedlung in einer Sackgasse liegt.“ (Warum wohl muss ich hier an Kampfsterne denken?) Intrigen, Affären und Boshaftigkeit hinter den Kulissen von Recycling und Bioeinkauf. Ein Nachbarschaftsroman über „moderne Mythen“ und dann konzentriert auf 144 Seiten? Echt gekonnt, denke ich. / Wagenbach
Gibt es Bücher aus dieser herbstlichen Vorschau-Aufstellung, die euch ebenfalls ansprechen? Falls nicht, welche dann? Lasst es mich wissen!
2 Kommentare
Liebe Bettina
Spannende Liste und keine Überschneidungen mit meiner Auswahl, allerdings habe ich bisher auch wenige Vorschauen durchgeschaut und auch unser Lesegeschmack unterscheidet sich – wenn es auch Überschneidungen gibt 😉
Was mich interessiert: Ist diese Liste auch zugleich die der Bücher, die du lesen möchtest? Oder die der Titel, die du anlesen wirst?
Ich habe ähnliches eine Zeitlang mit Comics gemacht, jedoch hatten die Beiträge sehr wenig Zugriffe und ich damit aber sehr viel Arbeit, sodass ich die Reihe eingestellt habe. Allerdings habe ich kürzlich auch drüber nachgedacht, meine Comic-Picklist wieder einzuführen. Hm, mal sehen 🙂
Liebe Grüße
Sandra
Liebe Sandra,
für mich ist die Liste tatsächlich eine Wunschliste. Ich lese allerdings selten alle Bücher der Listen, weil regelmäßig auch anderes dazwischen kommt. Es gab aber auch schon Titel, die erst nach Monaten den Weg zu meinem Lesesofa fanden.
Die Zugriffszahlen für diese Listen habe ich nie geprüft. Es ist einfach meine Merkliste, mein Gaudi und meine Vorfreude und Bücher, die ich tatsächlich daraus lesen kann, verlinke ich später auch.
Liebe Grüße
Bettina