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Martin Walker – Provokateure

Martin Walker – Provokateure

Martina Walker - Provokateure

Es gießt in Strömen, und im Périgord fürchten alle um die Weinernte. Doch Bruno Courrèges, einziger Polizist des Städtchens Saint-Denis, hat ganz andere Sorgen. Im Morgengrauen findet er die Leiche eines muslimischen Undercover-Agenten, der ihn nur wenige Stunden zuvor um Hilfe gebeten hatte. Und im Büro erwartet ihn Nachricht über einen autistischen Jungen aus Saint-Denis, der auf einer französischen Armeebasis in Afghanistan auftaucht und nun nach Hause kommen will – als Freund oder Feind, das ist die Frage.

Rezension

Es geht, wie immer, gemächlich los im Périgord: Bruno Courrèges macht sich Sorgen um die Weinlese des Jahres und besucht die ortsansässige Kelterei, an der er -wie viele andere Freunde- Anteile besitzt. Umso krasser wird er in seinen Polizeialltag zurück gerissen. Man hat eine Leiche gefunden, an einen Baum gefesselt und offensichtlich gefoltert. Der Tote stellt sich als verdeckter Ermittler heraus und prompt hat das sonst ruhige Städtchen Saint-Denis Sondereinheiten der französischen Polizei im Dorf. Die bekommen gleich noch etwas mehr zu tun, denn Sami, der autistische Adoptivsohn des Lehrers Momu wurde in Afghanistan aufgegriffen. Er verschwand auf mysteriöse Weise aus seiner Schule in Toulouse und wird nun, mit Misshandlungsspuren und in erbärmlicher körperlicher Verfassung, von einer französischen Militärbasis aus nach Frankreich zurück gebracht. Es braucht nicht viel Zeit, bis herauskommt, dass die Mörder des Ermittlers vermutlich auch hinter Sami her sind. Was er an Wissen aus Afghanistan mitbringt, könnte die französischen Drahtzieher seines Verschwindens in Schwierigkeiten bringen.

Parallel dazu wartet, ganz in Walkers Tradition, auch dieser Band mit einem zweiten Erzählstrang auf, der mit der französischen Résistance verknüpft ist. Saint-Denis erfährt von zwei jüdischen Kindern, die während der Kriegsjahre auf einem Bauernhof Unterschlupf gefunden haben sollen. Doch soviel man in der Stadt über die Kriegsjahre weiß, an versteckte Kinder erinnert sich niemand. Courrèges macht sich auf eine verzwickte Suche nach Anhaltspunkten, denn wenn er Erfolg hat, winkt der Stadt tatsächlich eine Erbschaft als Dankeschön für die damalige Hilfe.

Die Geschichte um die jüdischen Halévy-Kinder wirkt im Zusammenhang recht unauffällig, ist dafür aber in der relativen Kürze versehen mit zahlreichen Fakten und historischen Details, die Walker immer wieder einfließen lässt. Die Fluchthelferin Simone Mairesse, das Leben karge Leben auf einem Bauernhof, der Durchmarsch der deutschen Panzerdivision „Das Reich“ durch Südfrankreich, die „gueules cassées“, Opfer des ersten Weltkriegs. Die Suche nach Spuren der versteckten Kinder ist eine kleine Geschichtslektion, für die die Bruno-Romane nicht nur bekannt sind, sondern die auch immer wieder Details lebendig werden lassen, die so in keinem Geschichtsbuch standen.

Laut und drängend verläuft dagegen der Part um Sami. Die latente Angst vor Dschihadisten und deren Rekrutierungsroutine in Europa sind ein aktuelles politisches Thema, das von Walker aufgegriffen wird. Sami wurde, wie sich herausstellt, als Bastler und Techniker gebraucht; sein Autismus half den Terroristen, ihn gefügig zu halten und überhaupt erst aus Frankreich heraus zu bekommen. Während der Ermittlungen findet Courrèges heraus, warum Sami auf Sprache verzichtet und Walker macht damit einen Schlenker in den algerischen Bürgerkrieg der 1990er. Kaum hat Sami französischen Boden betreten, geht nicht nur die Aufarbeitung seiner Erlebnisse los, sondern auch das politische Gerangel um Auslieferung, das Vorrechte auf Anklage und überhaupt den Umgang mit ihn.

Dass Walker eine dritte Partie um Fabiola und ihre Vergangenheit einbaut, ist in diesem Buch zuviel, zumal wenigstens dem Leser in diesem Fall ziemlich schnell klar ist, wohin die Fahrt gehen wird. Dass ich das im Gesamttext nachsehe, hängt sicher damit zusammen, dass Walker es nach wie vor schafft, Atmosphäre, französische Geschichte und Aktualität zu verknüpfen, ohne dass das eine das andere allzusehr platt drückt. Bruno-Krimis sind weder betulich, noch verbiestert, dafür vom Autor spürbar engagiert zu Papier gebracht. Das gefällt auch bei einem leicht überfüllten Band 7. Ein bisschen weniger wäre hier aber mehr gewesen, denn logischerweise kommt es zu einem dramatischen Showdown, der -sämtliche Erzählstränge verknüpfend- viel Energie frei lässt. Insofern bin ich sehr gespannt auf den kommenden Teil, denn viel mehr kann man in einen Bruno-Krimi kaum packen und ich wünsche mir durchaus, dass es (nein, nicht gemütlicher!) sondern etwas übersichtlicher wird.

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-25706-928-0
Originaltitel: Children of war
Erstveröffentlichung: 2014
Deutsche Erstveröffentlichung: 2015
Übersetzung: Michael Windgassen


Die Serie chronologisch

  1. Bruno Chef de Police
  2. Grand Cru
  3. Schwarze Diamanten
  4. Delikatessen
  5. Femme fatale
  6. Reiner Wein
  7. Provokateure
  8. Eskapaden
  9. Grand Prix
  10. Revanche
  11. Menu surprise

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