Die Geschichte um Tom Ripley ist die Geschichte eines durchschnittlichen Typen, der sich mit Betrug und Finten das Leben zu bereichern sucht. Mit dem Leben unzufrieden, will er mehr für sich herausholen, ohne einen Finger dafür krumm zu machen. Tom hat keine Freunde, ist von seinem Umfeld genervt und angewidert. Leider besitzt er weder den Mumm noch den Grips zu erkennen, dass er selber dazu gehört bzw. sich selbst in dieses Umfeld gebracht hat.
Was ihn fasziniert, ist das süße Nichtstun, das Leben ohne Verpflichtungen. Er möchte am liebsten von Beruf Sohn sein. In etwa so wie Dickie Greenleaf, den er im Auftrag dessen Vaters aus Italien in die USA zurückholen soll. Vater Ripley stattet ihn dafür großzügig mit Geld aus. Nach Wochen des Dahinlebens bei Dickie will Tom seinen Aufenthalt in Europa mit aller Macht verlängern – erscheint ihm dieses sorglose, süße Leben doch wie eine Erfüllung. „Der talentierte Mr. Ripley“ sucht also nach Wegen, sich diesen Zustand zu erhalten.
Von der Kritik gefeiert – lohnt es?
Mir ist klar geworden, dass ich mit sehr hohen Erwartungen an das Buch gestartet bin. Die Kritiken feiern seit Jahren einen „Meilenstein der Krimiliteratur“, sind von einer „charmanten“ Hauptperson fasziniert und beteuern, man verfalle ihr und fiebere mit ihr. In diesen und ähnlichen Hymnen ergehen sich die Lobreden. Nur: Ripley war für mich nie eine sympathische, talentierte, geschweige denn eine schillernde und anziehende Figur. Im Gegenteil. Ich fragte mich, wie Ripley solche Beschreibungen hervorrufen konnte. Das war auch der Grund, warum ich den Roman beim ersten Anlauf nach einer Handvoll Kapiteln wieder weggelegt habe. Die Rückmeldungen zum Buch bauten Erwartungen auf, die ich bei weitem nicht erfüllt sah.
Tom wirkt auf mich komplexbeladen und verzweifelt. Er beginnt einen riskanten Balanceakt, der ihn mehr fordert als vermutet und voller Fallstricke steckt. Er würde die Konsequenzen seiner Missetaten tragen, aber nicht aus vollem Schuldbewusstsein, sondern einfach, weil er keine Kraft und keine Lösung hat, dem zu entkommen. Und dann ist es weniger mühsam, sich dem Schicksal zu ergeben statt weiter ängstlich „auf der Flucht zu sein“ und ständig nach Ausreden und plausiblen Ausflüchten suchen zu müssen.

Ripley ist das absolute Gegenteil eines typischen Helden. Gerade zur Entstehungszeit des Buches brach Highsmith mit Ripleys Charakter und seinem Status als Mörder und Betrüger einen Standard. Mit dem anderen Standard brach sie mit dem ewigen Tenor im Buch, Ripley könne offensichtlich unbehelligt davon kommen. Und einen dritten Standard brach sie, als sie Ripleys mögliche Vorliebe für Männer andeutete. Verständlich, dass der Roman in den 1950ern Aufsehen erregte. Ich habe die Anspielungen darauf allerdings nicht einmal verstanden. Entweder haben sich die Codes geändert oder es ist einfach so viel selbstverständlicher, als dass ich es als ungewöhnlich registriert hätte (wobei: ich tippe auf die unverständlichen Codes).
Das erhoffte atemberaubende Buch habe ich nicht gefunden, aber die Zeit war nicht zu 100 Prozent zu schade. Gut zwar, dass ich es gelesen habe, aber ein Wiedersehen mit Ripley wird es dennoch nicht geben. Ich habe den leisen Verdacht, dass die damals aufsehenerregenden Details heute nicht mehr so intensiv wirken und das Buch von der Zeit überholt wurde.
Bibliografische Angaben
Verlag: Diogenes
ISBN: 325723404X
Originaltitel: The talented Mr. Ripley
Erstveröffentlichung: 1955
Deutsche Erstveröffentlichung: ?
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