Petra Reski – Als ich einmal in den Canal Grande fiel

von Bettina Schnerr
5 Minuten Lesezeit
Kleiner Kanal in Venedig. Titelfoto zur Buchvorstellung: Petra Reski - Als ich einmal in den Canal Grande fiel. Foto: Ricardo Gomez Angel, unsplash

Seit rund dreißig Jahren lebt Petra Reski in Venedig. Sie ist eine von noch gerade einmal 52.000 Einwohnern, die im historischen Zentrum wohnen. Wie alle echten Venezianer schlängelt sie sich tagsüber durch die 80.000 bis 90.000 Besucher pro Tag, die aus Kreuzfahrtschiffen purzeln oder mit Booten und dem Zug auf die Inselstadt kommen. Sie lässt die Fenster wegen der Beschallung mit Gondoliere-Gesängen zu und ärgert sich darüber, dass sie für ihr eigenes Boot kaum eine Anlegestelle mehr findet. Ein normales Alltagsleben ist in Venedig nicht mehr drin und echte Venezianer gibt es obendrein sowieso immer weniger. Wie das Leben in Venedig und seiner Lagune aussieht, darüber scheibt Petra Reski in sehr persönlichen Episoden, die immer mit konkreten Plätzen oder Ereignissen in der Stadt verknüpft sind.

Jeden Tag verlassen Venezianer ihre Stadt, der Exodus wird von der Leuchtanzeige im Schaufenster der Apotheke Morelli angezeigt.

Das Leben zwischen Rollkoffern und Selfieknipsern

Eigentlich hat Vendig vieles zu bieten, was das Leben lebenswert macht. Die Stadt greift in ihrer Struktur komplett auf das „menschliche Maß“ zurück, wie Jan Gehl sagen würde und auch der „Venezianer an meiner Seite“, wie Petra Reski ihren Mann nennt, weiß um diesen Vorteil. Alles kann man zu Fuß erledigen, die Stadt funktioniert nachbarschaftlich und über weite Strecken autark, zum Beispiel mit einem gut ausgestatteten Spital und vielen Arbeitsplätzen. Eigentlich. Der Tourismus allerdings hat die Strukturen massiv ausgehöhlt und überschwemmt die Stadt. Reski erzählt, wie Politiker die historische Stadt zur Hegde City machten, Stück für Stück an Investoren verkauften. Donna Leon hat’s im Gegensatz zu Petra Reski deshalb irgendwann nicht mehr ausgehalten.

Während beim Verkauf von Palazzi noch großspurig Wohungen für Venezianer versprochen werden, entpuppen sich fast alle Bauprojekte hinterher als Luxushotels, Luxusshopping oder austauschbare Mode- und Café-Ketten, wie sie in jeder anderen Stadt der Welt auch zu finden sind. Selbst ein Kino gibt es nicht mehr. Denkmalschutz und Baunutzungsplan hätten praktisch keines der Projekte zugelassen, aber „Korruption“ trieft aus jeder Zeile, ohne dass Petra Reski die Vokabel selbst explizit ausschreiben müsste (zu Beginn hält sie sich zurück, später im Buch wird sie in dieser Hinsicht aber immer deutlicher). Einige Projekte gehen beispielsweise auf eine Denkmalschutzbeauftragte zurück, die mit dem Anwalt der privaten Betreibergesellschaft des Kreuzfahrthafens verheiratet ist. Ganze Stadtviertel sind zu Air-BnB-Vierteln geworden, denn nicht einmal Venezianer vermieten noch an Venezianer.

Kein Leben ohne die Lagune

Was mir vor der Lektüre nicht bewusst war, ist, wie stark Venedigs Lage in der Lagune von der Lagune selbst abhängt. Zumal ich kein Bild hatte, wie diese Lagune überhaupt aussieht. Es gibt viele natürliche Elemente, die im Gleichgewicht zusammenspielen und den Bau der Stadt erst ermöglichten. Deren Funktionen sind in der Region sattsam bekannt, doch ignoriert werden sie nach Kräften. Zwei Beispiele: Wellengang zum Beispiel gab es in der Lagune auf Grund der geringen Wassertiefe nicht; den gibt es erst, seit tiefe Fahrrinnen für den Industriehafen von Marghera und den Kreuzfahrthafen direkt in Venedig ausgebaggert wurden. Durch zubetonierte Salzwiesen für Flughafen und Industrie fehlen natürliche Ausweichflächen für die Gezeiten, sodass die Hochwasser steigen.

Dazu kommen Biozide von den Schiffsrümpfen und eine Feinstaubbelastung, die für eine sogar amtlich anerkannte, signifikante Zunahme von Lungentumoren verantwortlich ist. Die Flutsperranlage „Mose“ gibt Reski den Rest und seit einiger Zeit engagiert sich die Journalistin und Autorin in einer Bürgerbewegung. Mose, so Reski, verschlimmere die Probleme nur noch, statt welche zu beheben. Und wie sie bereits zur Stadt selber geschrieben hat, prägen auch die Planungs- und Bauzeit des Sperrwerks Fehlinformationen, Missmanagement und, ja auch hier, Korruption.

Wie sieht Venedigs Zukunft aus?

Während ich das Buch gelesen habe, kam eine offenbar großartige Nachricht aus Italien, die mich vor dem Hintergrund von Reskis Erzählungen erst einmal für die Stadt freuten: Kreuzfahrtschiffe dürften nicht mehr nach Venedig. Ein „historischer Moment“, wie der italienische Kulturminister jubelte. Doch das Kleingedruckte zählt und auch Petra Reski lässt sich in ihrem Blog über die Meldung aus. Die Regelung gilt nur für die allergrößten Pötte. Deren Betreiber sollen obendrein entschädigt werden, weil das Venedigpanorama vom Schiff aus nicht mehr zu ihren Attraktionen gehört. Und auch sonst ist in der Berichterstattung vieles untergegangen, was die Entscheidung zu einer kleinen kosmetischen Korrektur verkommen lässt, die die von Reski beschrieben Probleme keineswegs löst.

In der Summe löst das Buch nun ganz verschiedene Effekte aus und das jeweils ganz gekonnt. Ich möchte diese Stadt und ihre einzigartige Lagune mit eigenen Augen erleben. Wie sich die Stadt ihrem besonderen Lebensraum angepasst hat und innerhalb ihrer Grenzen ein unabhängiges, funktionierendes System aufgebaut hat, ist faszinierend. Gleichzeitig öffnet Petra Reski die Augen für das, was dieses System so verletzlich macht. Schaut man sich an, wie schnell sich die Situation der Lagune auf Grund wirtschaftlich getriebener Entscheidungen verschlechtert und wie nachdrücklich Entscheider wichtige Verbesserungen versanden lassen, dann hofft man am Ende, dass Bücher wie dieses keine Abschiedserinnerungen an eine großartige und eigentlich sehr lebenswerte Stadt sind. Sondern dass sie eine Grundlage liefern für bessere Entscheidungen.

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Bibliografische Angaben

Verlag: Droemer
ISBN: 978-3-426-27846-8
Erstveröffentlichung: 2021

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Foto: Ricardo Gomez Angel, unsplash

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