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Riku Onda – Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Riku Onda – Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Riku Onda - Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen

Eine kleine Wohnung in Tokyo, alles ist ausgeräumt und morgen ist die Wohnungsübergabe. Eine letzte Nacht werden Aki und Hiro hier verbringen, bevor sich ihre Wege trennen. Die vertraute Wohngemeinschaft der beiden fing vor einem Jahr an zu bröckeln, als auf einer Wanderung in einem japanischen Weltnaturerbe der Guide abstürzt und ums Leben kommt. Seither misstrauen sich die beiden. Keinen lässt die Frage los, ob der jeweils andere für den Tod verantwortlich ist. So sehr, dass Aki sehr früh im Buch ihre Angst zugibt. Auf das naheliegendste, für die Nacht in ein Hotel zu ziehen, kommt sie nicht (was allerdings auch das Buch unmöglich gemacht hätte):

Ich verziehe mein Gesicht zu einem sanften Lächeln und begrüße den Mann, der mich vielleicht umbringen will.

Und so sitzen sie bei Essen aus dem Convenience Store beisammen, ein Koffer als Tischersatz. Schnell dreht sich ihre Unterhaltung um den kritischen Tag in den Bergen. Kaum signalisiert Aki ihre Angst, erzählt sie von einem Detail, das die bevorstehende Diskussion in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Die Sache mit den Sonnensprenkeln

Abwechselnd erzählen Hiro und Aki ihre Perspektive dieser Nacht. Sie erinnern sich an die Wanderung, an Szenen aus der Kindheit und an Erlebnisse aus ihrer gemeinsamen Studienzeit. Sie versuchen, ihre Erinnerungen zusammenzufügen und so ein genaueres Bild zu bekommen. Von sich, von ihrer Familie, vom verhängnisvollen Wandertag.

Hier kommen die Fische und die Sonnensprenkel ins Spiel. Der poetische Titel spielt auf das flirrende Sonnenlicht an, das durch das bewegte Laub der Bäume ausgelöst wird. Je nachdem, wohin die Sonnenstrahlen treffen, verändern sie das Bild des Bodens oder der Wasseroberfläche. Mal sind Stellen besser zu erkennen, mal schlechter. Der Buchtitel verrät, dass Riku Onda das Licht sehr intensiv tanzen lässt. Jeder Erinnerungsfetzen von Ari oder Hiro verschiebt die Perspektive ein Stück. Ihre Erinnerungen setzen ein sich immer wieder veränderndes Schatten- und Lichtspiel zusammen.

Erinnerung mit sich auflösenden Konturen

Das eigentlich spannende Element des Romans ist gar nicht die Frage, ob diese Nacht irgendwer irgendwen umbringen möchte. Sondern die Frage, ob das flirrende Lichterspiel am Ende ein zusammen passendes Bild ergibt oder ein Mosaik aus Erinnerungsfetzen bleibt, deren genaue Passung gar nicht klar ist.

Die Alben sind voll von lächelnden Menschen. Aber wenn das die einzige Art von Fotos ist, die man von der Vergangenheit hat, wird die Erinnerung verfälscht. Man beginnt der Illusion zu verfallen, dass die Gruppe zu dieser Zeit wirklich harmonisch war.

Inwieweit können wir unseren Erinnerungen vertrauen? Ari und Hiro stehen vor der grossen Herausforderung, dass sie ihre Mosaiksteinchen fügen müssen, um den Tod ihres Guides zu verstehen und mit den Ereignissen ins Reine zu kommen. Wird eine stimmige Geschichte daraus oder eine wahre? Oder eine, auf die beides zutrifft? Und wissen wir als Leserinnen und Leser am Ende, was passiert ist?

Eine Weile hatte ich das Gefühl, dass der Roman seine Möglichkeiten nicht ganz ausgenutzt. Doch ich fürchte, daran ist der Klappentext nicht ganz unschuldig. Die beiden WG-Partner vermuten zwar, dass der jeweils andere möglicherweise einen Mord begangen hat. Aber die kesse Ankündigung, dass vielleicht noch einer passiert, löst sich Seite für Seite mehr und mehr auf. Gleichzeitig folgt der Roman der literarischen Spur, die Onda bereits in „Die Aosawa-Morde“ gelegt hatte: Individuelle Erinnerungen und unterschiedliche Perspektiven prägen maßgeblich, was wir am Ende von einem Ereignis mitnehmen. Vielleicht nimmt sogar jeder ein ganz anderes Bild davon mit, obgleich alle dabei waren.

Bibliografische Angaben

Verlag: Atrium
ISBN: 978-3-85535-024-7
Originaltitel: Komorebi ni oyogu sakana (木漏れ日に泳ぐ魚)
Erstveröffentlichung: 2007
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Nora Bartels

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