Seishi Yokomizo – Das Dorf der acht Gräber

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
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Der junge Tatsuya lebt in Kobe und wird eines Tages von einem Rechtsanwalt angesprochen. Seine zwei Tanten aus dem „Dorf der acht Gräber“ suchen nach ihm, um ihm die Geschicke der Familie Tajima anzuvertrauen. Weder Halbschwester noch Halbbruder könnten diese Aufgabe übernehmen. Tatsuya erfährt nun, wo seine Mutter ursprünglich herkommt. Überrascht und neugierig nimmt Tatsuya die Anfrage an.

Passen Sie bitte auf sich auf. Ich möchte Ihnen nicht die Freude an der Reise verderben, aber ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass die Sache nicht so ist, wie sie oberflächlich erscheint.

Den unheilvollen Namen erhielt das Dorf im sechzehnten Jahrhundert. Acht Samurai, die dort mit einem Schatz Zuflucht gesucht hatten, wurden von den gierigen Bewohnern ermordet. Der Schatz jedoch wurde nie gefunden.

Rund 25 Jahre vor der Handlung erlebte das Dorf eine zweite Mordserie. Grund dafür war das Clanoberhaupt der Tajima-Familie, der aus Wut darüber, dass Tatsuyas Mutter vor ihm geflüchtet war, im Dorf ein Massaker anrichtete. Die bis heute zutiefst abergläubischen Bauern denken nach wie vor, dass das Dorf seit den Samurai verflucht ist – und als mit Tatsuyas Ankunft erneut einige Dorfbewohner ermordet werden, geben sie ihm automatisch die Schuld.

Der japanische Lieutnant Columbo

Seishi Yokomizo - Das Dorf der acht Gräber

Zufällig ist der Privatermittler Kosuke Kindaichi im Dorf der acht Gräber. Er nimmt sich der rätselhaften Todesfälle an, denn weder Kommissar noch Kindaichi glauben an einen Zufall. Tatsuya ist verblüfft darüber, wie ehrfürchtig die Polizei ihn in ihre Ermittlungen einbindet, aber auch davon, welch seltsame Fragen der ungekämmte und nachlässig gekleidete junge Mann ihm stellt.

Die Sunday Times hat Kindaichi wegen seiner sehr legeren Aufmachung und den scheinbar zusammenhanglosen Fragen „mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit Columbo“ bescheinigt. Hauptsächlich beruht die Feststellung darauf, dass der erste Film und dieses Buch im Übersetzung gleichzeitig 1971 auf den Markt kamen. Mehr ist leider nicht dran an der Story. Die Autoren Richard Levinson und William Link haben Kindaichi nicht als Inspiration benannt – sie dürften ihn vermutlich auch nicht gekannt haben.

Seishi Yokomizo stellt eindrucksvoll das ländliche Japan nach dem Krieg vor. Nicht nur sind die Unterschiede zwischen dem weltgewandten Tokyo und dem Dorf ein Thema. Bis zu einem gewissen Grad wissen die Leute das Neue zu schätzen. Beim „neuen“ Arzt, der während des Kriegs aus der Stadt hierher evakuiert wurde, würdigen sie die modernere Heilkunst. Doch was ihr störrisches Festhalten an dem vermeintlichen Fluch angeht, sind sie unbelehrbar. Erst die Aufklärung durch Kindaichi wird sie am Ende eines besseren belehren und zeigen, dass all die Vorfälle aus vier Jahrhunderten nie etwas miteinander zu tun hatten.

Kein Vergeben, kein Vergessen

Yokomizos zweites Thema ist, wie in den Vorgängerbänden auch, ein Blick auf die Gesellschaft und ihre Konventionen. Darüber sollten die rätselhaften Morde und eine herrlich abenteuerliche Story um eine Schatzsuche in einem weit verzweigten Höhlennetz nicht ablenken. Tatsuyas Mutter Tsuruko wurde vor über 20 Jahren Opfer eines Sadisten, der sie sexuell missbrauchte und jahrelang quälte. Im Prinzip wusste das ganze Dorf davon. Die Hilfe blieb allerdings bald aus. Es war immer einfacher, von der jungen Frau die „Erfüllung“ der vermeintlichen Aufgabe zu verlangen und so Ärger zu vermeiden, als sich gegen den Mann gemeinsam zu wehren.

Dass Tsuruko ihr Heil irgendwann in der Flucht suchte, löste das bereits erwähnte Massaker aus. Aber bis zu Tatsuyas Rückkehr waren die Dörfler nicht auf die Idee gekommen, dass das „Problem“ wohl eher das Familienoberhaupt der Tajimas war als eine junge Frau. Nun projizieren sie ihre Wut über die ermordeten Familienmitglieder auf Tsurukus Sohn. Mich würde wirklich interessieren, wie die Leserinnen und Leser der 1970er Jahre auf diese Passagen reagiert haben.

Schön, dass die Serie fortgesetzt wird. Fünf Fälle sind laut Werkliste zwischen Gokumon und den acht Gräbern aus der Originalserie ausgelassen worden – nicht zum ersten Mal, seit es die Serie gibt, schätze ich. Ob sich die Verlage an den jeweils anderen Übersetzungen (und damit verbunden einer Voreinschätzung der anderen) orientieren? Das würde mich ebenfalls interessieren. Setzt sich die Auswahl ensprechend fort, dürfte der nächste Titel der Inugami Clan sein, den ich vor genau 10 Jahren schon auf Englisch kennengelernt habe. Ein Reread wäre was!

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Bibliografische Angaben

Verlag: Blumenbar
ISBN: 978-3-8412-3491-9
Originaltitel: Yatsuhakamura (八つ墓村)
Erstveröffentlichung: 1949-1951 als Fortsetzungsroman
Deutsche Erstveröffentlichung: 2024
Übersetzung: Ursula Gräfe

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