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Seishi Yokomizo – Die rätselhaften Honjin-Morde

Seishi Yokomizo – Die rätselhaften Honjin-Morde

Seishi Yokomizo - Die rätselhaften Honjin-Morde

Auf dem Hof der wohlhabenden Ichiyanagi-Familie steht im Winter 1937 eine Hochzeit an. Der älteste Sohn Kenzo will nach Jahren des Alleinlebens die junge Katsuko heiraten. Viel Aufhebens macht die Familie allerdings nicht, die Feier findet lediglich im engsten Rahmen statt. Just in der Hochzeitsnacht werden die Eheleute mit einem Schwert ermordet, das blutverschmiert theatralisch im Schnee steckt. Das alleine ist schon erschütternd genug, doch mehr noch irritert der Tatort. Das Nebengebäude ist verschlossen und im Schnee gibt es keine Spuren, die vom Haus wegführen.

Der Onkel der Braut wittert in den Stunden nach dem Verbrechen eine Falschaussage und lässt aus seinem nahen Zuhause einen jungen Mann anreisen, der gerade zu Besuch ist: Kosuke Kindaichi. Die Ichiyanagi-Familie ist ein wenig irritiert. Das soll der berühmte Privatdetektiv sein? Er stottert, ist viel zu jung und sieht obendrein sehr nachlässig aus. Zur ihrer großen Überraschung bindet die lokale Polizei den jungen Mann sofort in die Untersuchungen ein. Und Kindaichi ist vor allem von der großen Sammlung an Kriminalromanen im Haus angetan.

Vom Untergang einer Familie

Die Ichiyanagi sind eine Familie, die sich ein wenig selbst im Weg steht. Einst führten sie ein Honjin, eine Herberge für hochrangige Würdenträger, die hinsichtlich Ausstattung und Routinen ganz anderen Maßstäben genügen musste, als Herbergen für andere Reisende. Daher auch der Buchtitel: In Japan werden Menschen mitunter mit ihrem Beruf angesprochen und so wurde der Mord am Brautpaar im Sprachgebrauch der lokalen Bevölkerung zu den „Honjin-Morden“.

Der Familie haftet noch der Ruhm vergangener Tage an, aber er ist am verblassen. Zwar war ein Vorfahr weitsichtig genug, beim Zerfall der Shogun-Reiche in Landbesitz zu investieren, aber das ist den jetzigen Familienangehörigen keine große Hilfe. Zumal sie Zugezogene sind und die Landbevölkerung in dieser Hinsicht arg unterscheidet. Jeder hat also so seinen piefigen Dünkel.

Die ganze Familie benimmt sich seltsam. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie etwas verheimlichen. Entweder sie decken sich alle gegenseitig oder sie verdächtigen sich alle gegenseitig. Ich wittere es. Hier stinkt etwas ganz gewaltig.

Kindaichi sprengt in diesem konservativen Umfeld die Erwartungen, wird allerdings nur von der Ichiyanagi-Familie unterschätzt. Nicht aber von der Polizei. Er löst den Fall so, wie er einst seinem Mentor versprochen hat: mit seinem Verstand. Er besorgt sich über den Onkel, die Polizei und eigene Befragungen und Rundgänge zahllose Informationen und würfelt man all das gegen Ende zusammen, scheint er relativ schnell geahnt zu haben, nach was er suchen muss. Nun, Kindaichi kennt die Locked-Room-Fälle von John Dickson Carr oder Gaston Leroux ebenso gut wie sein Schöpfer und findet ausreichend Zeit, sich mit dem Sohn des Hauses über die Bücher auszutauschen. Er weiß auch aus diesem Grund schnell, welche Beobachtungen ihm weiterhelfen können.

Die Honjin-Morde enden für mich wie viele andere Krimis: Ich bekomme zum Beispiel einen klassischen Lageplan des Hauses, ahne einiges und misstraue öfter an den richtigen Stellen. Und am Ende bleiben doch genug Lücken, um überrascht zu sein. Nicht zuletzt fehlt einiges an Wissen. Seishi Yokomizo gibt gegen Ende zu, wo er eine genauere Angabe bewusst vermieden hat. Aber es gibt auch Elemente, für die mir bildliche Vorstellungen fehlen und das sorgt dafür, dass ich die Bedeutung von diesem oder jenem gar nicht einschätzen kann. Aber eigentlich macht das nichts. Ein Fall zum Mitraten sollte das Buch vermutlich auch nicht werden.

Kommt das Abstauben der Klassiker?

Yokomizo erzählt die Geschichte von seiner Perspektive als Kriminalschriftsteller aus, der von den Honjin-Morden hört und sie interessant genug für ein Buch findet. Der erzählende Autor wurde wegen des Krieges in die Präfektur Okayama evakuiert und kann sich den Schauplatz gar mit eigenen Augen ansehen. Außerdem kann er mit „Dr. F.“ sprechen, der ihm zur Ausgestaltung des Romans seine Notizen zum Fall überlässt.

„Die rätselhaften Honjin-Morde“ ist Seishi Yokomizos erster Kriminalroman mit Kosuke Kindaichi, der in seiner reichhaltigen Karriere in über 70 Fällen ermittelt hat. Mehrere davon wurden verfilmt, viele existieren inzwischen als englische Übersetzung (darunter The Inugami Clan, der vor einigen Jahren schon seinen Weg in mein Haus fand) – bisher aber eben noch nicht als deutsche. Blumenbar, so sieht es aus, übernimmt nun gestalterisch die ansprechend gemachten Ausgaben von Pushkin Vertigo und lässt von Ursula Gräfe übersetzen.

Schwappt hier der Trend zu klassisch geschnittenen Kriminalromanen nun auch auf Übersetzungen aus Japan über? Material gäbe gibt es sicher ausreichend und zu entdecken ebenfalls. Wer Freude an all den bisher bekannten Krimiklassikern hat, sollte Seichi Yokomizo kennenlernen.

Bibliografische Angaben

Verlag: Blumenbar
ISBN: 978-3-351-05109-9
Originaltitel: Honjin satsujin jiken (本陣殺人事件)
Erstveröffentlichung: 1946
Deutsche Erstveröffentlichung: 2022
Übersetzung: Ursula Gräfe

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