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Jiro Taniguchi – Der spazierende Mann

Jiro Taniguchi – Der spazierende Mann

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Taucht Jiro Taniguchi in meinem Blog auf, dann geht im betreffenden Buch stets jemand spazieren. Erst war es ein Gourmet, dann waren es ein Kartograph und ein trauernder Sohn. Vierter im Bunde ist nun ein Mann, der mit seiner Frau in einen kleinstädtischen Vorort von Tokyo gezogen ist.

Jiro Taniguchi zeichnet Kurzgeschichten von einem Menschen, der sich den Blick für Kleinigkeiten bewahrt hat. Er nutzt Heimwege und freie Tage zum Umherstreifen. Dabei zeigt Taniguchi gelegentlich die kleinen Absurditäten des Alltags. Die Neugierde treibt den spazierenden Mann zum Beispiel eines Tages in die winzigen Gässchen zwischen den Häusern. Während er zunächst noch einer älteren Frau den richtigen Weg zeigen muss, ist am Ende seiner Odyssee sie diejenige, die ihm zurück zu bekannten Flecken im Viertel weist.

Meist aber geht es in den Szenen um kleine Zufälle und spontane Instinkte, die einem Spaziergang die Abwechslung verleihen. Da wird eine zufällig gefundene Muschel aus dem Garten Anlass für eine Reise ans Meer. Die Anstrengungen eines Einkaufs sind vergessen, als Mann und Frau gemeinsam unter dem Sonnenschutz einen Tee trinken. Das Vogelhäuschen, das ein Taifun auf den Weg geweht hat, wird repariert und die beiden fragen sich, ob die früheren Bewohner es wohl wiederfinden werden. Unter einem Kirschbaum in voller Blüte trifft er auf eine Frau, die jedes Jahr an diesen Baum aus ihrer Kindheit zurückkehrt.

Ein Bilderbuch mit kreativer Wirkung

Wirklich interessant finde ich das sorgfältig ausgewählte Nachwort von Hirokazu Koreeda, einem japanischen Filmregisseur. Er erinnert sich an die Zeit nach der Kündigung einer stressreichen Anstellung, als er selbst zu einem „spazierenden Mann“ wurde und mit seinen früheren Schulfreunden rund um die Heimatstadt Kiyose im Nordwesten von Tokyo streifte. Vor allem einer der Freunde war mit seiner Aufmerksamkeit für die Blumen am Wegesrand Auslöser für ein Umdenken. Eines, das ihn daran erinnerte, dass er sich wieder „der kreativen Arbeit und den Hürden des Alltags aufs Neue zu stellen“ könne.

Koreeda erkennt in Taniguchis Büchern jene Ideen wieder, die er seither in seinen Filmen umsetzt: Das alltäglich Leben der Leute von nebenan, deren scheinbar nebensächliche Dinge liebevoll in Szene gesetzt werden. „Die Landschaftsversion des Gourmets“, findet der Regisseur.

Das Unspektakuläre an Taniguchis Büchern ist vielleicht umso auffälliger, weil die bekanntesten Geschichten aus Japan im weitaus hektischeren und volleren Tokyo spielen – wo scheinbar kein Raum für genügsame Momente existiert. Nicht zuletzt mögen wir selbst den Einruck haben, dass es auch anderswo im Alltag kein Raum für die Vögel im Baum oder einen Streifzug durchs eigene Stadtviertel bleibt. Umso poetischer mögen die kurzen Streiflichter wirken. Und umso stärker die Einladung, sich solche Momente zu suchen und auf sie einzulassen.

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Bibliografische Angaben

Verlag: Carlsen
ISBN: 978-3-551-77884-0
Originaltitel: Aruku Hito (歩く人)
Erstveröffentlichung: 1992
Deutsche Erstveröffentlichung: 2009, Neuauflage 2021
Übersetzung: John Schmitt-Weigand

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