Mit Mateusz Urbanowicz habe ich einen Zeichner im Regal stehen, der (auch unter seinem Künstlernamen Matto) einen größeren Namen in der Szene hat, als ich ursprünglich geahnt hatte. Er gehörte einige Jahre zum Team von CoMix Wave Films, die Zeichnungen für den Film „Your name“ lieferten.
Seiner Aquarellserie mit japanischen Läden begegnete ich durch Zufall. Und ich blieb sprichwörtlich kleben, denn seine Bilder fangen die Atmosphäre der kleinen alten Läden in Tokyo perfekt ein. Irgendwann verriet er auf Instagram, dass aus seiner Bilderserie ein Buch werden würde. Wer hat sich auf seine spärlichen Japanisch-Kenntnisse besonnen und umgehend vorbestellt? Make an educated guess …
Liebevolle Gestaltung von der ersten Seite an
Insgesamt 50 dieser Ladenfronten stellt Urbanowicz in seinem ersten Buch vor. Von der ersten Seite an ist es detailreich und durchdacht gestaltet. Das fängt schon beim Schutzumschlag an, der außen erste Aquarelle zeigt und innen eine Liste aller vorgestellten Orte samt einem selbst gezeichneten Stadtplan, wo all die Läden zu finden sind (oder zu finden waren, sofern sie vor Drucklegung der Planierraupe zum Opfer fielen). Auf der Webseite verrät der Künstler außerdem, dass er eine Drucktechnik ausgewählt habe, die die die Strukturen und den Charakter von Aquarellen bestmöglich übertragen könne.
Der Zeichner gibt bei jedem Shop auf einer Seite kurz an, was es zum Haus zu wissen gibt: Da finden sich kleine Restaurants, die 1837 eröffnet wurden, Bäckereien, die durch einen Urwald aus Topfpflanzen rund um den Eingang auffallen oder Häuser, die ihre traditionelle Ladenfront mit klaren, modernen Wohnbereichen aufstocken. Zu jeweils vier kleinen Ausschnitten erklärt er meist, warum ihn die Strukturen oder Farben so faszinieren. Ähnlich, wie es Florent Chavouet in Tokyo on foot gemacht hat, stellt auch Mateusz Urbanowicz sämtliche Adressen auf Extraseiten zusammen, damit die Läden persönlich aufgesucht werden können.
Die kleinen Ecken machen die Megacity aus
Läden wie die gezeigten gibt es noch viele. Manchmal muss man die Augen offen halten und sich für’s Gucken die Zeit nehmen. Urbanowicz‘ Aquarelle haben insofern einen echten Vorteil, weil sie alles drumherum ausblenden und den Fokus sofort auf die einzelnen Häuser legen. Nachbarhäuser, Straßenmarkierungen und Elektroleitungen verschwinden und übrig bleibt der kleine Shop wie auf einem Portraitfoto.
Das Buch „Tokyo at night“ ist vom Aufbau her genauso angelegt, auch, wenn der Schutzumschlag in diesem Fall nichts hergibt. Er ist nachtschwarz, wenngleich diese Farbe nachts in Tokyo eigentlich nicht zu finden ist. Warum, das zeigen die Bilder eindrucksvoll: Irgendwo leuchtet immer eine Vending Machine, eine Laterne, ein Ladenschild oder ein Schaufenster.
Die Bilder sind gegliedert nach den Orten, die sie zeigen: Hohe Häuser, einsame Ecken, Züge und Brücken, Regennächte und kleine Gassen. Noch viel mehr als bei den Storefronts zaubern die Bilder die Stimmung der Orte aufs Papier. Denn dieses Mal verzichtet Urbanowicz auf nichts. Hier ist von den Lieferkisten an der Hauswand und Kehrbesen über das Netz an Elektroleitungen und Klimaanlagen bis zum unter der Plane versteckten Motorroller alles zu sehen. Um so mehr lassen die Bilder den Betrachter in die Szenerie eintauchen.
Großartige Arbeit an den Details
Auch hier gibt das Buch die genauen Orte an, die gemalt wurden und anhand kleiner Details aus dem Bild zeigt Urbanowicz, was ihm ins Auge fiel oder was zeichnerisch herausfordernd war.
Den Abschluss bildet in beiden Büchern jeweils ein Anhang, in dem Mateusz Urbanowicz seine Zeichentechnik erklärt. Angefangen von den Farben, Bleistiften und Papiersorten geht es über das Finden der Motive und das Fotografieren weiter zum Anlegen der Rohzeichnungen und all die kleinen Schritte, bis das finale Aquarell fertig ist. Wer selber aquarelliert, findet also einen großen Fundus an technischen Hinweisen. Und wer nicht selber malt, erfährt, wie viel Arbeit hinter den hinreißenden Bildern steckt.
Beide Bücher sind zweisprachig Japanisch/Englisch und im Buch „Tokyo at night“ findet sich außerdem ein Gespräch zwischen Urbanowicz und Makato Shinkai, dem Regisseur von „Your name“. Beide Bücher sind so gut gemacht, dass sie als Alternative zum Bildband herhalten können. Die einzige Challenge ist, dass die Bücher im Ausland bestellt werden müssen. Urbanowicz nennt auf seiner Website einige Bezugsquellen, die meisten davon in Japan oder Übersee. Zumindest die Storefronts gibt es als „Boutiques de Tokyo“ im Nachbarland.
Bibliografische Angaben
東京店構え Tokyo Storefronts
ISBN 978-4-8443-6734-5
Erstveröffentlichung: 2018
東京夜行 Tokyo at night
ISBN 978-4-8443-6856-4
Erstveröffentlichung: 2019
Verlag: MdN Corp. エムディエヌコーポレーション
In der nächsten Folge „Japan in Farbe“:
Jiro Taniguchi
Zur vorigen Folge:
Igort
4 Kommentare
Wow – bin ganz verliebt in diese wunderschönen Aquarelle! Begeistert bin ich auch von der Idee, die Zeichentechnik im Anschluss zu erläutern – ich habe auch mal angefangen zu aquarellieren, aber das ist noch stark ausbaufähig 😄
„Your name“ ist auch ein schöner Film und das Interview bestimmt interessant.
Vielen Dank für die Vorstellung dieses Schmuckstücks, Bettina!
Vielen Dank. Ich liebe diese Bilder auch sehr. Gerade bei den kleinen Läden ist der Charakter etwas völlig anderes als auf Fotos und das mag ich sehr.
Uuuuh, zeig mir doch nicht so etwas!
Das ist wirklich hübsch und wandert direkt auf die Wunschliste :3
Es ist so schön, da konnte ich nicht anders 😉