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Sujata Massey – Der Tote im Sumida

Sujata Massey – Der Tote im Sumida

Sujata Massey - Der Tote im Sumida

Die Glitzerwelt des japanischen Luxuskaufhauses »Mitsutan« ist der neue Arbeitsplatz von Hobbydetektivin Rei Shimura. Als Verkäuferin getarnt soll die Halbjapanerin den skrupellosen Machenschaften der Chefetage auf die Spur kommen. Bald schon bemerkt Rei, dass die edle Welt der Designer-Kimonos und japanischen Höflichkeitsfloskeln in Wirklichkeit eine äußerst raue und brutale ist.

Rezension

Die ehemalige Antiquitätenhändlerin Rei Shimura wird aktuell an der amerikanischen Westküste von der Organization for Cultural Intelligence ausgebildet, einer Geheimdienstorganisation, von der sie niemandem berichten darf. Ihr Vorgesetzter Michael Hendricks holt sie mitten aus dem laufenden Kurs, um eine Operation in Tokyo vorzubereiten. Das Kaufhaus Mitsutan auf der berühmten und sehr teuren Einkaufsmeile in Ginza soll seine Jahresabschlüsse ordentlich frisieren. Leichte Aufhübschungen sind in Japan durchaus üblich, aber über das Mitsutan ging eine Beschwerde über deutlich überhöhte Manipulationen ein. Der erste Agent, der darauf angesetzt wurde, lebt nicht mehr; Tyler Farrady wurde tot aus dem Fluss gezogen. Nun soll Shimura die Kastanien aus dem Feuer holen. Von der Halbjapanerin verspricht man sich mehr Erfolg. Als Mitsutan-Mitarbeiterin soll sie sich den direkten Zugang zu Abrechnungsprozessen holen: „Sie sollen sich bloß einen Eindruck davon verschaffen, was innerhalb des Kaufhauses vor sich geht. Ein paar Belege für Unregelmäßigkeiten, mehr brauche ich nicht.“ Klingt eigentlich ganz ungefährtlich, was Hendricks über die Aufgabe sagt.

Es ist nie zu spät, Rei Shimura kennen zu lernen. In meinem Fall geschieht das mit diesem Krimi, „Der Tote im Sumida“, wenngleich das bereits der neunte Band der Serie von Sujata Massey ist. Trotzdem gelingt der Einstieg und die anderen acht Teile vermisst man während der Lektüre nicht sonderlich. Die eingestreuten Hinweise auf das vergangene Leben genügen, um sich ein Bild davon zu machen, dass es ein solches gibt und wie es ungefähr ausgesehen hatte. Nachlesen kann man hinterher immer noch.

Die Figur der Rei Shimura gefiel mir auf Anhieb gut. Sie hat einen japanischen Vater, eine amerikanische Mutter und ist fließend zweisprachig. Sie kennt sich in beiden Ländern aus, ist aber auf Grund ihrer kalifornischen Jugend trotzdem eine Fremde in Japan — auf diese Weise löst Massey das Problem, Japan und seine Gepflogenheiten zu beschreiben. Rei Shimura weiß natürlich vieles, aber ihr fehlt dennoch die alltäglich Routine und so tritt sie hin und wieder in Fettnäpfchen. Damit erklären sich viele Bräuche ganz automatisch. Im Lauf des Buchs wird zum Beispiel klar, warum Farraday so schnell enttarnt wurde: Er hatte als Model versucht, Kontakt zu den Kaufhauschefs zu bekommen — in Japan wegen der Hierarchien ein Unding. Das merkwürdige Verhalten stieß sauer auf und Farradays eigentliche Aufgabe kam ans Licht. Rei Shimura hingegen hat das Problem, zwar fließend Japanisch zu sprechen, aber nicht fließend lesen zu können. Sie kämpft immer noch mit den rund 2000 Kanji-Zeichen, die ein Japaner nach der Schule routinemäßig beherrscht (offenbar hat sie da aber aufgeholt, denn in einem früheren Band, den ich inzwischen gelesen habe, schätzt sie ihre Kanji-Kenntnisse auf die eines Drittklässlers).

Da Shimura ihre wesentlichen Kenntnisse ausschließlich von der Mutter hat, wirkt sie auf ihre Kollegen öfter recht altmodisch; also fällt sie auf und aus der Masse herausstechen ist etwas, was Japanerinnen am Arbeitsplatz ungerne tun. Über ihre Position in der sehr homogenen japanischen Gesellschaft ist sich Shuimura ganz im Klaren:

„Im Café war mir aufgefallen, dass die meisten jungen Frauen einen kleinen Glücksbringer am Handy hatten, also erwarb ich auf dem Weg zurück zu U-Bahn ebenfalls einen, eine winzige Nachbildung des Tokyo Tower, seinerseits eine Kopie des Eiffelturms — genau wie ich die Kopie einer Japanerin war.“

Das Kaufhaus Mitsutan ist ausgezeichnetes Beispiel für den japanischen Dienstleistungsgedanken. Der Kunde ist nicht König, er ist Kaiser (wenn auch unter Kaisern Rangunterschiede bestehen) und er soll sich auch so fühlen. Shimura betreut ausländische Kunden und führt sie im Zweifelsfall stundenlang durch das Kaufhaus, bis die gefunden haben, was sie suchen. Dabei kommt sie ein bisschen herum und erzielt mit klug platzierten Wanzen erste Erfolge. Doch mit Geld an sich hat Shoppingqueen Shimura es nicht so sehr, daher verpasst sie einen wichtigen Hinweis. Zudem ist die Yakuza ohnehin nie weit, wenn es um Geldwäsche geht; da ist es bemerkenswert, dass Hendricks diesen Hintergrund zu Beginn nicht auf dem Schirm hat.

„Der Tote im Sumida“ ist flott und spannend geschrieben und bietet darüber hinaus einen Blick hinter die gesellschaftlichen Kulissen. Massey bekommt eine gute Mischung hin, langweilt nicht mit Erklärungen und verlangt kein Vorwissen. Die dezente japanische Lösung, die sich beinahe abzeichnen könnte und die Shimuras Arbeit umsonst gemacht hätte, bringt am Ende zum Glück noch jemand ordentlich durcheinander.

Update 10-2017: Im Februar 2017 legte der Piper Verlag diesen Titel als Ebook neu auf (die gesamte Serie mit einem wunderbar einheitlichen Design). Damit der Titel bei Interesse besser auffindbar ist, habe ich Cover und ISBN an die neue Ausgabe angepasst. Die Übersetzung stammt in beiden Fällen von Sonja Hauser, sodass man von einem identischen Text ausgehen kann.

Bibliografische Angaben

Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-98335-8
Originaltitel: Girl in a box
Erstveröffentlichung: 2006
Deutsche Erstveröffentlichung: 2008
Übersetzung: Sonja Hauser

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