Beim Tierarzt Byongsu Kim wird Alzheimer diagnostiziert. Mit Hilfe von Unhi richtet er sich sein Leben neu ein, so gut er kann. Überall kleben Zettel, die ihn an Alltagsroutinen erinnern. Er spricht auf Voicerekorder, um seinen Alltag zu sortieren.
Doch Kim ist kein gewöhnlicher Tierarzt. Bis zu einem Unfall vor vielen Jahren lebte er als Serienmörder. So sehr seine Erinnerungen an Gestern schwinden, die Erinnerungen an seine frühere Obsession sind ihm sehr wohl präsent. Ein letztes Mal will er nun aktiv werden, bevor es zu spät ist: In der Umgebung werden mehrere junge Frauen ermordet aufgefunden und Kim ist überzeugt, den Täter bei einer zufälligen Begegnung an dessen Augen erkannt zu haben — Serienmörder erkennen einander, ist er sich sicher. Aus Angst um Unhi versucht er, den Jüngeren zur Strecke zu bringen. Doch wie kann Kim einen Mord organisieren, wenn er nicht einmal weiß, wen er gestern getroffen hat?
Trügerische Sicherheit
Die „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ sind trügerisch: Nicht nur für Kim. Mindestens ebenso für den Leser, der sich nicht nur Gedanken darüber macht, ob und wie Kim seine Mission hinbekommen könnten. Sondern auch darüber, ob Kim mit seinen Einschätzung und Aufzeichnungen überhaupt richtig liegt. Was erzählt er uns da eigentlich?
Kims Aufzeichnungen dokumentieren nicht nur den Versuch, einem dementen Tierarzt eine Stimme zu geben und den Verlust des Gedächtnisses eine sprachliche Form zu verleihen. Sie geben dem Leser selbst das Gefühl, sich nicht zurecht zu finden. Damit zerfasert Young-Ha Kim auch die Grenzen des Krimi-Genres, denn viele klassische Strukturen erfüllt er bewusst nicht.
Selten hinterlässt ein Buch solche Unsicherheiten, die Ungewissheit, welcher Teil der Geschichte nun der Wahrheit am nächsten kommt. Doch genau das macht den besonderen Charakter bei den Aufzeichnungen eines Serienmörders aus. Womöglich auch die cleverste Art, über Demenz zu schreiben.
Habe ich das etwa alles erfunden? Ausgeschlossen. Phantasie kann nie so lebendig sein wie die Realität.
Hinter dem Cover: Ein Blick unter den Schutzumschlag lohnt sich! Der graue Buchumschlag ist bedruckt mit dünnen roten Zitaten („will mich wieder versenken“ – „eine Frauenleiche gefunden“ — muss Jutae Park umbringen). Sie verwässern am Rand, verschwinden und werden fast unlesbar. Eine perfekte zeichnerische Allegorie auf das Kernthema im Roman (und ein weiteres Beispiel für die wunderbare Coverarbeit des Verlags, der darauf großen Wert legt.)
Link: Memoir of a murderer, 2017 / Trailer
Der koreanische Spielfilm, basierend auf Kims Buch, lockte in den ersten rund zwei Wochen nach Erscheinen zwei Millionen Zuschauer ins Kino.
Der Roman wurde im Herbst 2020 ausgezeichnet mit dem Preis der Hotlist. Die Hotlist präsentiert die Bücher des Jahres aus unabhängigen Verlagen des deutschsprachigen Raums. 2020 beteiligten sich 170 unabhängige Verlage am Wettbewerb.
Bibliografische Daten
Verlag: cass
ISBN: 978-3-351-03793-2
Originaltitel: Salinja-ui gieok-beob
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2020
Übersetzung: Inwon Park
Bestellen bei genialokal.de* / buchhaus.ch* / osiander.de* / orellfuessli.ch* / medimops.de* / amazon.de* (*Affiliate-Links)