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Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Auf dem Sprung zum großen Publikum

Auf dem Sprung zum großen Publikum

Als Nation von Krimilesern muss Japan hierzulande wohl erst noch entdeckt werden.“ Mit diesem denkwürdigen Satz eröffnete die FAZ im Jahr 2003 eine Buchbesprechung. Gegenstand des Artikels war „Mord am See“ eines gewissen Keigo Higashino, ein Buch aus einem seinerzeit völlig neuen Verlag mit einem damals völlig unbekannten Autoren. Wie die FAZ damals anmerkte, unterschied sich die japanische Literatur, die in Japan populär war, sehr von der, die in Deutschland auf den Markt kam.

Jener Titel war der Startschuss für den Cass Verlag, gegründet von Katja Cassing. Den Verlag gründete sie genau wegen jener Diskrepanz: Die promovierte Japanologin lebte Ende der 1990er Jahre in Tokyo und hatte die aktuellen Krimis selbstredend griffbereit. Kein Wunder, dass ihr irgendwann auffiel, dass ausgerechnet jenes Genre den Sprung nach Deutschland nie geschafft hatte. Sie nahm die Sache kurzerhand selbst in die Hand, gründete den Verlag und übersetzte ihren ersten Titel.

Stopfen einer Genrelücke

Keigo Higashino konnte sich in den folgenden Jahren im deutschen Markt etablieren. Inzwischen erscheint er in einem anderen Verlag. Für Cassing kein Grund zur Traurigkeit, ganz im Gegenteil: „Mit den Krimi-Entdeckungen öffnete sich eine Schatzkiste,“ findet sie. Davon habe man gerade mal einen Bruchteil entnommen. „Wenn ich es schaffe, jemanden zu etablieren, gebe ich Autoren gerne weiter, damit sie in einem größeren Umfang erscheinen können. Dann habe ich doch ein Ziel erreicht.“

Dr. Katja Cassing, Japanologin und Gründerin des Cass Verlags

Insgesamt wäre mehr japanische Literatur in Deutschland wirklich schön, aber es gibt Grenzen. „Es wird eher so bleiben, wie es derzeit ist,“ schätzt Cassing. Grund ist die geringe Übersetzerdichte in Deutschland. Sprichts und zählt mir am Telefon alle auf, die hauptberuflich Literatur aus dem Japanischen übertragen. Sie landet bei sechs Personen. Für den gesamten deutschen Sprachraum. „Das ist ganz sicher die limitierende Größe,“ lautet die Bilanz. Der Cass Verlag hat pro Jahr inzwischen bis zu vier Titel im Programm, ein ordentliches Pensum für einen kleinen Verlag. Vieles übersetzt die Chefin natürlich selbst. Aber für Übersetzungen, die sie abgeben könnte, sucht sie in demselben Pool, den alle Verlage ansprechen.

„Ich habe aus diesem Grund keine Bauchschmerzen, wenn Übersetzungen aus dem Englischen gemacht werden,“ findet sie. „Unter strengen Japanologen ist das fraglos ein Unding, aber meiner Meinung nach sollte das bei einigen Textensorten sehr wohl möglich sein, bevor sie nicht ins Deutsche kommen.“ Gerade bei Krimis leiste eine gute englische Übersetzung eine vernünftige Grundlage, denn es komme gerade da oft weniger auf sprachliche Finessen an als vielmehr auf sprachunabhänige Faktoren wie Struktur, Finten oder den Spannungsbogen.

Sprachkenntnis als Superpower

Nur, wie findet man lohnenswerte Manuskripte? Einige Bücher werden über englische Ausgaben entdeckt und auch die Franzosen haben vergleichsweise viele japanische Titel auf dem Markt. Es kommen zusätzlich Agenturen ins Spiel und Exposés.

Katja Cassing hingegen hat Trends und Informationen direkt auf dem Radar. Als Verlegerin, die sich im Japanischen sicher bewegt, besitzt sie einen unschätzbaren Vorteil: „Ich sitze an der Quelle und verfolge in Echtzeit, was sich im japanischen Buchmarkt bewegt.“ Was sie interessiert, liest sie im Original. „Das macht mich unabhängig von Agenturen und Exposés, die in der Regel auf Englisch geschrieben sind.“ Funkt es auf den ersten 30 Seiten nicht, nimmt sie das nächste Buch. „Ich kann Titel finden, die sonst keiner hat,“ weiß sie. „In den deutschen Verlagen kenne ich sonst niemanden, der fließend Japanisch spricht.“

Bei Iori Fujiwara entpuppte sich ihr Alleinstellungsmerkmal als echter Glücksgriff. Das Exposé war verschwurbelt und wenig attraktiv geschrieben. Cassing besorgte sich das Buch trotzdem und es sollte sich als weitaus besser herausstellen als vermutet. Schon die eigene Familie, erzählt sie, habe sich begeistert auf ihre Berichte über das Buch eingelassen. „Wäre das Exposé besser gewesen, hätte ein anderer Verlag vielleicht längst Interesse daran bekundet,“ beurteilt sie ihre Chance.

„Warum übersetzen Sie ausgerechnet den?“

Diese Frage hörte Cassing bei einem Telefoninterview zu Fujiwara gleich als erstes. Das Buch begeisterte die Rezensenten, auch bei großen Zeitungen, der Titel stand drei Monate in Folge auf der Krimibestenliste, und nun stellte man fest: Iori Fujiwara war längst verstorben. Keine Autoreninterviews, keine Folgetitel. „Das wusste ich natürlich, aber das war mir egal,“ stellt Cassing fest. „Das Buch ist einfach gut. Ich frage nicht danach, ob ich anschließend mit dem Autoren am Marketingregister ziehen kann oder so etwas. Mir geht es in erster Linie um den Text.“

Man mag das Extravaganz nennen, aber ein kleiner Verlag kann sich genau das der Textauswahl zuliebe durchaus leisten, ein großer Verlag könnte das nicht. „Da geht es genau um solche Fragen,“ sagt Cassing, „um gesicherte Absatzzahlen zum Beispiel oder künftige Projekte im Anschluss.“

Iori Fujiwara brachte dem kleinen Verlagshaus große Resonanz ein. Cass-Titel waren zwar schon früher bei einigen Rezensenten bekannt und auch bei Besprechungen immer irgendwo präsent. In Berlin weiß Cassing zum Beispiel auch von einer Buchhandlung, in der es schon einmal einen Tisch mit Cass-Titeln gegeben hatte. Aber die Leserschaft insgesamt speiste sich aus Liebhabern mit einem Japan-Faible. „Nachdem Fujiwara so prominent auf der Krimibestenliste stand, wird die Bekanntheit spürbar größer,“ freut sich Cassing. Nun erreicht der Verlag auch Leser, die japanische Literatur zuvor nicht gesondert wahrgenommen hatten, es gelingt der Schritt vom Liebhaber-Publikum zum breiteren Publikum.

„Die Hölle zum Übersetzen“

Ko Machida - Vom Versuch, einen Glücksgott loszuwerden

Was die Leser beim Cass Verlag finden, lässt sich allerdings nicht alleine mit dem Lieblingsgenre der Gründerin verschlagworten. Die Bandbreite des Verlags ist groß. Bei der Auswahl gehört allerdings eine große Portion Pragmatismus dazu. Ist der Text so wichtig, dass der Verlag ihn haben soll? Da aktuell mehr als vier Titel nicht machbar sind, muss scharf abgegrenzt werden.

Auch die Komplexität der Texte spielt eine Rolle. Fujiwaras Buch beispielsweise lief sehr flüssig, während man das von „Versuchter Liebestod“ von Choukitsu Kurumatani gar nicht sagen kann. „Ein komplizierter Text und die Hölle zum Übersetzen,“ erinnert sich Cassing. „Ich schwor mir, so einen Aufwand nicht noch einmal zu betreiben.“ Lange hielt der Vorsatz nicht; wenig später begegnete sie der Geschichte „Musashimaru“ von demselben Autor und die sei so schön gewesen, dass sie sämtliche Schwüre und Verwünschungen über Bord geworfen habe.

Größere Herausforderungen boten sich auch bei Ko Machida. „Machida haut Kalauer raus und schreibt in verschiedenen Sprachstufen,“ erläutert Cassing. „Außerdem baut er mit den Schriftzeichen wilde Wörter zusammen. Genau deswegen sind seine Geschichten großartig zu lesen.“ Genau deshalb gilt er allerdings auch als unübersetzbar. Fußnoten wären eine Möglichkeit, Witze zu erklären. Aber damit töte man einen Text, das lehnt Cassing ab. Wer will sich schon Witze erklären lassen? Ein ausländischer Leser soll in einer guten Übersetzung an derselben Stelle lachen können. Manche Textstellen trage man dann tagelang mit sich herum, bis sich eine Lösung finde.

Einzigartige Ausstattung

Nanae Aoyama - Bruchstücke

Kniffe musste sie auch für den aktuellen Erzählband von Nanae Aoyama finden, mit der Cassing gerade auf Lesereise durch Deutschland war. „Eine Person heißt da Komugi, ein Name, der das Zeichen für Weizen enthält. Darauf gibt es im Originaltext mehrere Anspielungen, die ein Japaner sofort erkennt,“ erzählt Cassing. „Es hat mich wirklich Nerven gekostet, eine Übersetzung zu finden, die genau diesen Effekt ins Deutsche überträgt.“

Jener Band heißt „Bruchstücke“ und im Layout wurde ein Cover entwickelt, das auf Grund seiner scheinbaren Risse definitiv brüchig aussieht. Auf die Ausstattung hat Katja Cassing ein Auge: „Ich verkaufe nicht Japan!“ Sie verkaufe Literatur und dass die aus Japan kommt, liege einfach nur an ihrer Spezialisierung. Klischee-Kirschblüten auf dem Cover sucht man beim Cass Verlag vergebens. Jedes Motiv wird extra angefertigt, passend zum Buch. So auch beim ikonischen Holzschnitt, der Iori Fujiwaras Cover prägt und in Farbwahl und Motivgestaltung großartig auf die Handlung abgestimmt ist.

Die Resonanz auf ihre Bücher gibt Katja Cassing Rückenwind für ihren Ansatz, Bücher zu übersetzen und zu vermarkten. Noch erledigt sie einen weiteren Brotberuf und arbeitet an einem umfassenden Wörterbuch-Projekt. Aber im kommenden Jahr werden die Weichen voraussichtlich neu gestellt und für den Cass Verlag könnten sich ganz neue Perspektiven eröffnen. Es wäre absolut zu wünschen.


Titelbild: Holzschnitt von Miriam Zweck für „Der Sonnenschirm des Terroristen“ von Iori Fujiwara

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