Mia Kankimäki – Dinge, die das Herz höher schlagen lassen
Eine junge Finnin geht ihrer Passion nach: Sie hat das berühmte „Kopfkissenbuch“ der Japanerin Sei Shonagon gelesen und will ihrer Fasszination vor Ort nachspüren. Diese Finnin ist Mia Kankimäki selbst, die für mehrere Monate Finnland gegen Kyoto eintauschen wird. Kankimäki hält Sei für eine Seelenschwester und teilt beispielsweise ihre Vorlieben für das Aufstellen von Listen. Jene Sei ist eine Hofdame, die vor mehr als 1000 Jahren zur Heian-Zeit am Kaiserhof lebte und deren erhaltene Aufzeichnungen einen persönlichen und auch historisch wichtigen Einblick in diese Zeit geben.
Kurz gefasst: So sehr ich beim Stichwort Japan aufspringe, so gelangweilt war ich von Kankimäkis Unterfangen. Die Finnin erzählt leider weitschweifig, langweilig und schwunglos. Zunächst bezweifelt sie sich andauernd selbst. Das ist durchaus nachvollziehbar: Sie kann kein Japanisch, ist nicht wirklich vorbereitet, gibt in Finnland praktisch alles auf. Allerdings gibt sie dem so viel Raum auf immer dieselbe langatmige Weise, dass es recht ermüdet. „Reisebericht“ fällt damit aus.
Möchte ich mehr über Sei Shonagon erfahren, würde ich lieber ein echtes Sachbuch nehmen. Auch dafür taugt das Buch nicht. Mia Kankimäki packt unglaublich viel Hintergrundwissen über die Hofdame und das zeitgenössische Leben in das Buch, als müsse sie ihre Kenntnis beweisen, als müsse sie irgendetwas rechtfertigen. Das sind (so weit ich jedenfalls im Buch gekommen bin) die einzig interessanten Passagen, weil hier tatsächlich was passiert. Das will was heißen, dass das Buch mehr „Heian-Handlung“ verpackt als „2021-Handlung“. Ich mag auch den Stil nicht sonderlich, mit Sei laufend zu kommunizieren, als sei sie tagesaktuell dabei und könne Kankimäkis zahlreiche Fragen beantworten. Kankimäki irrt einfach durch Kyoto und das scheint oft genug nicht einmal daran zu liegen, dass sie sich im fremden Land zunächst zurechtfinden muss. Sondern daran, dass sie für sich selbst endlich mal sortieren muss, was sie eigentlich will. Ich war für einen Japan-Titel ungewöhnlich schnell abgehängt.
Gekommen bin ich bis Seite 98 (von 519).
Verlag: btb
ISBN: 978-3-442-71934-1
Originaltitel: Asioita jotka saavat sydämen lyömään nopeammin
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Übersetzung: Stefan Moster
Daniela Krien – Der Brand
Die deutsche Autorin steht bei mir schon länger auf der Löffelliste. Nach „Der Brand“ ist mir aber nicht klar, ob ich es noch einmal mit einem anderen Titel versuchen soll oder lieber nicht. Die Geschichte dreht sich um das Ehepaar Rahel und Peter, die sich auseinandergelebt haben. Ein kleiner Urlaub soll nun helfen, eine neue Richtung für die beiden zu finden. Ein Brand —daher der Buchtitel— zerstört allerdings kurzfristig ihr Feriendomizil, sodass Rahel spontan zusagt, einer Bekannten den Bauernhof zu hüten.
Auf dem Hof passiert aber nicht viel, was mich fesseln würde. Eine Tochter schaut mit ihren Kindern vorbei, Peter kümmert sich um die Tiere, Rahel dümpelt auf dem Hof und man geht im See schwimmen und Rahel überlegt zudem, ob der Mann jener Bekannten nicht gar ihr Vater sein könnte. „Gar nichts erlebt. Auch schön,“ hat angeblich Mozart gesagt (manchmal auch angeblich Goethe) und so verkehrt ist das ja auch wirklich nicht. Doch das Wenigtun kommt noch dazu in einer schlichten Sprache daher. Mit schlicht meine ich nicht die sprachliche Verdichtung bei Inokai oder Camenisch, die selten viele Worte brauchen, sondern den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Der Roman dreht sich um Fragen, die Menschen tatsächlich heftig umtreiben (Corona, Wendepunkte einer Beziehung, Geschlechtsidentitäten), aber ich fand an keiner Stelle einen gedanklichen Zugang. Ähnlich wie Kankimäki kam Krien mir wie eine große Erklärerin statt einer Erzählerin vor.
Nach dem zweiten Glas Wein waren sie zu dem Schluss gekommen, dass Bildung zum Verständnis der Welt zwar unabdingbar sei, es aber durchaus einen Punkt gebe, an dem Klugheit in Dummheit kippe. Wer nicht mehr in der Lage sei, spontan zu reagieren, wer alles Erlebte erst mühsam in einen theoretischen Kontext einbette, der habe diesen Kipppunkt erreicht.
Gekommen bin ich bis Seite 156 (von 269)
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07048-4
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Judith W. Taschler – Das Geburtstagsfest
Bin ich ungnädiger geworden? Oder ungeduldiger? Selten habe ich mehr Bücher abgebrochen als in den letzten Wochen. Auch dieses hier rund um den fünfzigsten Geburtstag von Kim. Seine drei Kinder laden dafür als Überraschung heimlich Tevi ein, mit der Kim vor Jahren aus Kambodscha nach Österreich geflüchtet war. Was die Kinder allerdings nicht wissen können: Ihr Vater Kim verheimlicht eine Menge aus seinem früheren Leben.
Abgebrochen habe ich aus vor allem aus einem Grund. Die ersten 100 Seiten wirkten auf mich so flach wie das Cover mit dem strukturlosen Kleid. Taschler erklärt ausgiebig die Geschichte der österreichischen Familie, springt dazwischen in Rückblenden nach Kambodscha. Doch vor allem die Art, Mutter Ines einzuführen, hat mich ziemlich ermüdet. Die Männer der Mutter, die Großmutter, Umzug, Schule, Noten, Stiefgeschwister, was auch immer, alles muss auf den Tisch. Ist davon wirklich alles später relevant oder wird einfach eine gewisse, verpflichtend wirkende „Vollständigkeit“ hergestellt?
Hätte ich das besser durchgestanden, wäre ich früher oder später zu jenen Rückblenden in die Zeit der Roten Khmer geraten, die während ihrer Terrorherrschaft spielen. Taschler schildert eindringlich genug, was in den Jahren des Terrorregimes im Land vorgegangen war – das habe ich beim Querlesen nach dem Abbrechen noch mitbekommen. Das allerdings schlägt definitiv auf den Magen und wer das Intro durchsteht, erlebt hier die nächste Prüfung. Der Erzählstil spielt dann vielleicht keine Rolle mehr, aber man sollte es sicherheitshalber vorher wissen.
Gekommen bin ich bis Seite 109 (von 350)
Verlag: Droemer
ISBN: 978-3-426-30646-8
Erstveröffentlichung: 2019
Spencer Wise – Im Reich der Schuhe
Im chinesischen Foshan lebt Alex Cohen und arbeitet in der Schuhfabrik, die sein Vater aufgebaut hat. Bisher wurde der junge Mann recht klein gehalten, doch von einem Tag auf den anderen übergibt der Vater ihm die Firma. Die Zeremonie dazu ist so merkwürdig wie das Buch: Alex ist zuvor in den Fluss gefallen und nicht nur klatschnass; er stinkt nach der Brühe, die Haut juckt, wel der Fluss bei Foshan nichts anderes ist als die Abwasserleitung der gesamten Industrie dort. Und trotz Gestank und Nässe ziehen der Vater und seine Gäste die Unterschriftenzeremonie durch als sei nichts gewesen. Dabei hat Alex nicht einmal eine ordentliche Einführung genossen. Ganz im Gegenteil. Selbst, als Alex die Verantwortung hat, erklärt der Vater praktisch immer noch nicht, was zur Firmenleitung gehört (im Gegenteil, er ist ein übergriffiges Elend, das sich lieber über andere lustig macht). Plötzlich steht die „Übergabe von Geschenken“ auf der Tagesordnung (also Bestechung, was Alex gar nicht wohl ist) und Arbeiterinnen haben seltsame Arbeitsbewilligungen, von denen Alex noch nie etwas mitbekommen hat. Mit zum Plot gehört auch die ein paar Jahre ältere Ivy, die den verliebten Alex ein bisschen „erzieht“ und zu kleinen Aufmuckern gegen den dominanten Vater ermuntert.
Entweder klang es vielversprechender oder es ist einfach das falsche Buch zur falschen Zeit. Erzählerisch gepackt hat mich die Story nicht, dafür wirkte sie zu schwerfällig.
Wirklich interessant war eher der Schauplatz: Spencer Wise packt die Bekleidungsindustrie ziemlich hart am Wickel und schleppt den Leser durch stinkende Kloake, giftige Dämpfe, viel Staub, Arbeiter unter Druck und Kontrolle und einen hundsmiserablen Arbeitsschutz. Aber das Nachdenken darüber, unter welchen Bedingungen Schuhe für die Welt entstehen, trägt mich nicht durch das Buch. Eine Doku wär‘ mir da lieber. Ich vertraue Alex, dass er es schon hinbekommt und seinen Weg macht.
Gekommen bin ich bis Seite 151 (von 392)
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-30079-6
Originaltitel: The Emperor of Shoes
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Übersetzung: Sophie Zeitz
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