Isabel Bogdan – Laufen

von Bettina Schnerr
2 Minuten Lesezeit
Titelfoto für die Rezension zu Isabel Bogdan - Laufen: Joggende Frau auf einem großen Platz in Yokohama. Foto: Ryoji Iwata, unslpash.

Jahrelang ist sie schon nicht mehr gelaufen. Erst waren es nur ein paar Probleme mit dem Fuß, dann wurden einige Jahre draus. Jetzt, nach dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten, fängt die Frau wieder an, rafft sich nach Monaten ohne jede Motivation zu irgendwas endlich wieder auf. Sie schnürt die Schuhe, wundert sich, woher die Kraft dazu kommt und verzweifelt fast an ihrer eigenen Courage. Der Satz „Ich kann nicht mehr“ begleitet sie schon nach hundert Metern. Irgendwie schafft sie die Runde und irgendwie schafft sie es ab diesem Tag auch, immer wieder aus dem Haus zu kommen. Ihre Runden werden jedes Mal ein kleines bisschen länger. Es hat viel von Davonlaufen, aber die Wut, der Ärger, die Trauer laufen immer mit.

Während jeder Runde, die man erlebt, wandern ihre Gedanken. Sie drehen sich um den Tod, den sie nicht verhindern konnte, um Schuldfragen oder Wut. Darum, wie gut ihre Freunde sie auffangen können und wie die Arbeit sie wenigstens ein bisschen in der Routine hält. Sie kotzt sich über seine Eltern aus, die ihr ohne jede Empathie sämtliche Erinnerungsstücke aus der Wohnung geholt haben und außer Schlafanzügen nichts übrig gelassen haben.

Ich überhole die Parfümierte, da wird’s einem ja richtig schlecht, und kaum bin ich an ihr vorbei, riecht man gar nichts mehr, vielleicht ist das eine Lösung, nicht weglaufen vor den Ekligkeiten der Welt, sondern sie überholen, aber wie soll das gehen.

Laufen, um zu Denken

Der großartige Clou des Buchs ist, dass Isabel Bogdan die Fortschritte ihrer Figur ausschließlich über die Laufrunden vermittelt. Jedes Kapitel pickt eine der Runden in unterschiedlichen Abständen heraus. So, wie sich die Frau Zeit lassen muss, in den richtigen Laufrhythmus zu kommen, dauert es möglicherweise auch ein bis zwei Kapitel, um in den Sprachrhythmus zu kommen. Während Bogdan in Der Pfau komplett auf indirekte Rede gesetzt hatte, redet ihre Joggerin hier ausschließlich mit sich selbst. Wer selber läuft, erkennt den Stil vermutlich schnell: Lange Gedankenfäden, gespickt mit zufälligen Einsprengseln, bevor der ursprüngliche Faden wieder aufgenommen wird und zwischendurch die Konzentration aufs Atmen oder schmerzende Knie. Oder der Kampf mit sich selbst, direkt umkehren zu wollen, und statt dessen doch noch ein paar Meter dranzuhängen.

Bogdans Läuferin braucht diesen Freiraum zum Denken unbedingt. Der Suizid ihres an Depression erkrankten Lebensgefährten ist schwer zu ertragen, schwer zu verstehen. Nach gut einem Jahr erst erhält sie professionelle Hilfe von einer Therapeutin. Wahrscheinlich ermöglichte ihr dieser Kontakt überhaupt erst, den Kopf aus dem „Friesennerz“ zu stecken, in dem sie sich gefangen fühlt. In einigen der Runden fängt Bogdan aber auch eine universelle Wut und Hilflosigkeit ein, die mit Trennungen einhergeht.

Mich beeindruckt, wie intensiv „Laufen“ den Alltag einfängt. Der Prozess kostet Zeit und Trauer wird nicht magisch verschwinden. Aber es tun sich Wege auf, mit dem Verlust umzugehen und vorwärts zu kommen. Der Roman hat etwas sehr tröstliches und motivierendes und zumindest literarisch passiert das, was die Frau vermisst: Man wird in den Arm genommen. Und das gehört eben mit zu dem Besten, was Literatur kann.

Bibliografische Angaben

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-05349-4
Erstveröffentlichung: 2019

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