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Joël Dicker – Das Geheimnis von Zimmer 622

Joël Dicker – Das Geheimnis von Zimmer 622

Joël Dicker - Das Geheimnis von Zimmer 622

Obwohl ein anderes Buch von Joël Dicker schon seit geraumer Zeit auf meinem SUB drängelt, nämlich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, wollte ich dem aktuellen Roman doch den Vorzug geben. Was daran liegt, dass Dicker sich hier selbst in die Handlung eingebaut hat. Ich finde die Idee witzig, sich auf diese Weise ein alter ego zu verpassen. Schließlich werden sich nun alle bei der Lektüre fragen, wieviel Joël Dicker steckt in Joël Dicker? Das hat bei Miroslav Nemec schon ziemlich gut funktioniert. Die Haupthandlung geht mit einer Kleinigkeit los: Dicker verlässt Genf für ein paar Tage Arbeitsruhe im „Palace de Verbier“ und quartiert sich in Zimmer 623 ein. Dabei fällt ihm auf, dass es nur die Nachbarzimmer 621 und 621a gibt. Ein anderer Hotelgast, die Britin Scarlet Leonas, ermuntert ihn, der Ursache für das fehlende Zimmer 622 auf den Grund zu gehen. Und so erfährt das spontan entstandene Ermittlergespann von dem Mord, der Jahre zuvor in eben jenem Zimmer begangen wurde. Aufgeklärt wurde der Mordfall leider nie und so haben die beiden Hotelgäste plötzlich überraschend viel zu tun.

Der Roman schickt jeden auf eine wechselvolle Zeitreise. Dicker mischt das aktuelle Geschehen im Hotel regelmäßig mit Rückblenden, die die Geschichte des Bankiers Macaire und seines Bankhauses erzählen. Der Erzählstrang rund um Macaire ist üppig und verzweigt. Da gibt es die Familiengeschichte der Macaires und die Familiengeschichte vieler anderer Beteiligter. Da gibt es Liebesgeschichten, gelungene, vereitelte und schief laufende. Dicker erzählt von Karrieristen, Geschäftsleuten, Netzwerken und Intriganten. Jede dieser Geschichten findet ihren Platz.

Quirlige und verschachtelte Zeitreise

All diese kleinen Episoden weben ein dichtes Bild der Personen und ihrer Beweggründe. Aber sie liefern auch ein verwirrendes Bild. Wie es sich gehört, finden all diese Puzzleteile erst am Ende zusammen und verblüfft stelle ich fest, dass all diese Stücke auch notwendig waren, um ein großes Ganzes zu ergeben. Ein großes Ganzes, das voller falscher Fährten und Finten steckt.

Abgesehen davon, dass Joël Dicker sich selbst mit einem Augenzwinkern einbaut, ist sein ehemaliger Verleger ebenfalls mit von der Partie, Bernard de Fallois, der 2018 verstorben war. Ihm ist der Roman gewidmet. Auch das Verlagshaus, in dem der Roman des fiktiven Dicker erschienen war, ist identisch mit dem des echten. Mehr reale Einsprengsel gefällig? Ein Bankhaus Macaire gab’s tatsächlich — in Konstanz und gegründet von einem Genfer Bankier. Auch die Verfilmung eines Romans vom „Herrn Schriftsteller“ ist echt. Gemeint ist die Miniserie zum Fall Quebert. Nur wer im „Palace de Verbier“ absteigen will, wird Pech haben. Aber Alternativen in einer Größe, die über mindestens 623 Zimmer verfügt, werden sich im Wallis schon finden lassen.

Tolle Unterhaltung mit „Häh-Effekt“

Ihr wisst, ich bin keine allzu große Freundin dicker Bücher. Das Rätselgeschehen rund um Zimmer 622 bringt über 600 Seiten in den Einband. Aber es sind Seiten, durch die ich wahrhaft durchgeflogen bin. Am Ende allerdings kam ein „Häh-Effekt“ auf mich zu. Auf den Punkt bringt das ein kurzer Dialog, den gleich zu Beginn des Romans die Figuren Dicker und Leonas führen:

„Ich werde ganz bestimmt keinen Roman darüber schreiben“, stellte ich sofort klar.
„Kommen Sie schon, Herr Schriftsteller … Ich bin sicher, Bernard hätte gewollt, dass Sie einen Roman über diese kleine Meldung schreiben.“
„Nein, mein nächster Roman wird kein an den Haaren herbeigezogener Krimi sein!“

Entweder hat Dicker mächtig an seinen Haaren gezogen oder aber das Augenzwinkern des Romans ist schlicht ausufernd riesengroß. Denn Dicker hat genau das geliefert, was sein alter ego zu Beginn des Buchs noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Ich habe mich noch nicht ganz entschieden, ob ich beim „Häh“ bleibe oder ob ich unglaublich fasziniert sein soll von der Konsequenz. Denn eigentlich würde es zu diesem Buch passen, in dem ja alle Elemente am Ende stimmig zusammengeführt werden und konsequent verpuzzelt werden. Vielleicht eben auch der selbstironische Blick auf das eigene Schaffen. Ohne zu spoilern: Auch das Schlusswort spricht dafür.


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Bibliografische Angaben

Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-07090-4
Originaltitel: L’énigme de la chambre 622
Erstveröffentlichung: 2020
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Übersetzung: Michaela Meßner, Amelie Thoma

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