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Michael Theurillat – Lenz

Michael Theurillat – Lenz

Michael Theurillat - Lenz

Der Zürcher Kommissar Eschenbach hat über die Jahren einen zuverlässigen Ring an Informaten aufgebaut, die ihm hin und wieder mit sonst gut verborgenen Details weiterhelfen können. Diese Kontakte könnte er jetzt gut gebrauchen: Gerade erst zurück von einer dreimonatigen Auszeit erfährt er von einem Todesfall, der erstaunlich schnell abgeschlossen werden soll.

Eine von Eschenbachs Quellen ist Ewald Lenz aus dem Polizeiarchiv. Lenz hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis; was er einmal gesehen oder gehört hat, weiß er praktisch lebenslang. Auch Lenz hat Kontakte im Verborgenen: Ein alter Studienkollege bittet ihn, einer gemeinsamen Freundin ein kleines Päckchen nach Freiburg zu bringen. Lenz ahnt, dass ihm sein Freund nicht alles erzählt, aber diese Drei halten seit Studientagen zusammen.

Sie lachen mich aus, weil ich anders bin. Ich lache über sie, weil sie alle gleich sind.

Heath Ledger

Theurillat stellt nicht umsonst dieses Zitat seinem Roman voran. Die drei Studienfreunde sind in beruflicher Hinsicht brillante Denker, Strategen und Entwickler. Sie waren zum Beispiel enge Mitarbeiter des Nobelpreisträgers James Watson (Medizin, 1962). Doch ihre beruflichen Wege trennten sich. Lenz suchte im Archiv der Polizei bewusst nach einem Arbeitsplatz, der ihn vor Fragen versteckte und gleichzeitig die Möglichkeit bot, mit seinem phänomenalen Gedächtnis (möglicherweise HSAM-Syndrom) arbeiten zu können.

Eschenbach wird blockiert

Während Eschenbachs Auszeit sollte sein Mitarbeiter Jagmetti das Team leiten. Doch der Kommissar sieht sich der deutlich jüngeren Ivy Köhler gegenüber, die alles kühl torpediert, was er gerne erledigen würde. So zum Beispiel beim Todesfall Habicht. Der alte Mann wurde eher zufällig tot in seiner Wohnung entdeckt und Eschenbach gefällt das ganze Setting nicht. Ein Kalender ohne Einträge? Ein nagelneuer Laminatboden? Und Köhler hinterlässt obendrein das seltsame Gefühl, ihm den ausführlichen Obduktionsbericht nicht überlassen zu wollen. Mit Lenz würde er sich gerne austauschen, aber der ist verschwunden.

Hinter den Kulissen laufen ganz andere Sachen ab als die Suche nach Mördern. Habichts Wohnung geht in Flammen auf und plötzlich gibt es aus dem Nachlass keine Hinweise mehr darauf, dass der Tote tatsächlich mal Professor an der ETH war; deren Personalbteilung macht nämlich dicht und verkündet, Habicht sei nie Angestellter der Hochschule gewesen.

Eschenbach wird politisch

Im Raum steht Terrorverdacht. Auf Eschenbachs Suche nach Hintermännern, Verstrickungen und Kontakten dröselt Michael Theurillat auf, was auf der weltpolitischen Bühne abläuft. Es ist komplex, es ist viel Kulissenschieberei, es ist politischer Sprengstoff:

„Ich könnte dir mindestens ein Dutzend Konflikte nennen, an denen die NATO gewissermaßen illegal beteiligt war.“

Zwei der Protagonisten (ich könnte schon sagen welche, will aber nicht, weil ich will, dass ihr das Buch selber lest) bringen sich in einem ausführlichen Gespräch auf den „aktuellsten Stand“. Und zu dem gehört unter anderem eine Gruppe von Kommunikationsspezialisten, die sich um Ablenkung kümmert, oder um das, was inzwischen als „alternative Fakten“ bekannt ist.

Nicht alles, was passiert, landet in der Zeitung und nicht alles, was in der Zeitung steht, ist exakt so passiert. Ich musste an eine Aussage von Dominique Manotti denken, die in einem Gespräch mit Max Annas und Kirsten Reimers zu Protokoll gab: „In gewissen Kreisen fragt man nicht nach der Legalität, sondern nur nach dem möglichen Gewinn.“

Was Manotti für Frankreich ist, könnte Theurillat in gewisser Weise für die Schweiz sein — wenngleich er ein gemütlicherer Erzähler ist, aber nicht notwendigerweise ein harmloserer. In Sechseläuten ein Einblick in die FIFA und den Umgang mit Jenischen, in Rütlischwur der Einblick in die Finanzwelt, in Wetterschmöcker ein Ausflug in die Chefetagen von Rohstoffkonzernen. Theurillat rechnet in seinen Büchern auf seine Weise nach, welche Gewinne in welchen Kreisen welche Verbindungen rechtfertigen. Und wenn nochmal jemand fragen sollte, ob Krimis irgendwie gesellschaftlich notwendig seien oder relevante Themen aufgreifen würden, dann schickt ihm zum Beispiel den Link zu diesem Text.

Bibliografische Angaben

Verlag: Ullstein
ISBN: 978-3-550-08198-9
Erstveröffentlichung: 2018

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