Eine Frau möchte zum zehnten Geburtstag ihres Sohnes, der vor Jahren durch einen tragischen Unfall ums Leben kam, in einer Konditorei zwei Erdbeertörtchen kaufen. Doch als sie den Laden betritt, kommt niemand, um sie zu bedienen. Die zierliche Konditorin steht mit dem Telefonhörer am Ohr hinten in der Küche und weint stumm vor sich hin. Einige Jahre zuvor bekommt eine Schriftstellerin von einer alten Witwe, bei der sie zur Untermiete wohnt, eine Karotte geschenkt, die einer menschlichen Hand ähnelt. Sogar die Lokalnachrichten interessieren sich für die merkwürdige Karotte. Doch kurz darauf macht die Polizei im Gemüsegarten der Witwe einen grausigen Fund. Was hat eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, mit einer alten Witwe zu tun, deren Mann vor Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist? Welche Verbindung gibt es zwischen einer Schriftstellerin, die regelmäßig bis spät in die Nacht arbeitet, und einer Konditorin, die als Mädchen in ein ehemaliges Postamt eingebrochen war?
Rezension
Einen „Roman in elf Geschichten“ hat Ogawa hier geschrieben. Also ist es eine Kurzgeschichtensammlung? Durchaus, allerdings nicht im strengen Sinn, denn die einzelnen Erzählungen sind nicht entkoppelt. Irgendwann taucht immer jemand auf, den man aus einer anderen Geschichte kennt; irgendwann tauchen Szenen auf, die in verschiedenen Geschichten von unterschiedlichen Protagonisten erlebt werden. Auf diese Weise webt Ogawa ihre elf Geschichten zusammen und kettet ihre Figuren aneinander – jedoch ohne dass diese das jemals erfahren würden. Am Ende bleibt das Gefühl, dass alles zusammenhängen könnte. Vielleicht.
Immer schwebt etwas Surreales durch die Geschichten. Mitunter harmlos. Die Frau beim Erdbeertörtchenkauf beispielsweise sitzt recht entspannt, während sie auf die Konditorin wartet. Dabei wartet sie ungewöhnlich lang, unterhält sich zwischendurch mit einer anderen Frau. Sie wartet so lange, bis der Abendhimmel die Lichtfarben verändert und die Turmuhr fünf schlägt. Selbst dann ist nicht klar, wann sie die Törtchen bekommt.
Mitunter aber wird es so surreal, dass es spinnert wirkt oder man sich als Leser auf die Suche nach einer großen Symbolik macht. So wie bei dem Pelzmantel, der als Geschenk dankbar angenommen wird, wärmt, doch urplötzlich auf offener Straße auseinanderfällt und seinen Geruch dabei dramatisch verändert. Oder all die Kiwis, die im alten Postamt lagern, aber scheinbar nie faulen, sondern immer essbar sind.
Was mich beeindruckt, ist die Leichtigkeit, mit der Ogawa die kleinen und großen Tragödien betrachtet. Die panische Schriftstellerin, die trauernde Mutter, der Messie-Onkel. Die Übertreibungen leisten ihren Teil dabei. Einige weisen vielleicht auf eine tiefere Symbolik hin. Dass wir nur sehen, was wir sehen wollen. Dass wir einen Schein wahren, um einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen. Dass sich Fehltritte irgendwann rächen können. Dennoch hinterlassen die Geschichten einen nicht greifbaren, verwirrenden Charakter. So schön die Poesie, so allein gelassen ist man am Ende.
Bibliografische Angaben
Verlag: Liebeskind
ISBN: 978-3-935890-75-5
Originaltitel: Kamokuna shigai, Midarana tomurai, 寡黙な死骸 みだらな弔い
Erstveröffentlichung: 1998
Deutsche Erstveröffentlichung: 2011
Übersetzung: Sabine Mangold
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4 Kommentare
Da ich ja bei Ogawa jetzt leider auch schon schlechte Erfahrungen sammeln musste, bin ich etwas vorsichtiger mit der Auswahl, auch wenn ich die Cover beim Liebeskind Verlag einfach allesamt traumhaft finde!
Bei dem hier werd ich z.B. wieder neugierig. Das könnte meinen Lesenerv treffen 😀
Die Cover sind wirklich wunderschön!
In diesem Fall ist es mein erstes Buch von Ogawa, sodass ich nicht mehr sagen kann. Noch wartet „Das Museum der Stille“ auf mich. Was sie daraus macht, darauf bin ich natürlich auch neugierig. Wie vage sei bleibt, wie abgedreht sie Szenen lassen wird und Ähnliches. Mal schauen.
Das Museum der Stille, fand ich z.B. sehr schön. Hotel Iris hingegen ist eine – ehm – Katastrophe.
Na dann bin ich auf dieses Museum wirklich gespannt.