Restaurants und Cafés, in denen die Zeit stillsteht, Gerichte, die Gäste in Erinnerungen versinken lassen und Essen, das Kummer heilt (und gelegentlich mogeln sich Fotografien unter das Volk). Zwischen allem kuscheln sich regelmäßig die Katzen. Aus Komponenten wie diesen lassen sich zuverlässig beliebte Romane zaubern. Ganz besonders offenbar in Japan. Ich glaube aber nicht einmal, dass die japanische zeitgenössische Literaturlandschaft überdurchschnittlich voll von diesen und ähnlichen Romanen ist. Aber die Übersetzungslandschaft scheint es mir zu sein. Zu all diesen Büchern gesellen sich nun jene von Yuta Takahashi. Sein Restaurant-Schauplatz findet sich auf der Halbinsel Chiba und ist nur morgens geöffnet.
Die Anreise ist gar nicht so leicht, da Chiba kurz nach den Industriegebieten und hinter der direkten Schnellverbindung Tokyo-Bay-Aqua-Line schnell sehr ländlich wird. Trotzdem nimmt Kotoko Niki den langen Weg auf sich. Sie trauert um ihren Bruder Yuito. Beide waren in einen Unfall verwickelt, den er nicht überlebt hat. Nun fragt sich Kotoko, ob ihr ein „Gericht von damals“ einen sinnvollen Lebensweg ohne Yuito zeigen kann.
Dieses „Gericht von damals“, das auf Chiba angeboten wird, ähnelt dem früheren Brauch des Kagezen. Es war üblich, ein Gedeck für ein Familienmitglied aufzulegen, das längere Zeit fort war. Bekannt ist Kagezen auch aus der buddhistischen Totenmesse, wo man ein Gericht für die verstorbene Person auftischt. In Chibis Kitchen kann man nun gar der verstorbenen Person begegnen, während dieses Essen noch warm ist. Für die Verstorbenen ist der Dampf des Essens nahrhaft (und deshalb verschwinden sie wieder, sobald es kalt ist). So ist das Konzept des Buchs, was auf uns kitschig wirken mag und als „Wohlfühlroman“ vermarktet wird, eigentlich im spirituellen Denken Japans verhaftet.
Erinnerungen und Essen gehen Hand in Hand
Ebenfalls in Chibis Kitchen einkehren wird noch ein Schüler, dessen Klassenkameradin an einer schweren Krankheit verstorben ist. Auch ein ehemaliger Erdnuss-Farmer nimmt nach dem Tod seiner Frau das Angebot von Chibis Kitchen an. Gekocht wird dort von Kai Fukuchi, der selbst trauert. Im fehlen seine Eltern — vor allem seine kürzlich verstorbene Mutter, die das kleine Restaurant nach dem Verschwinden des Vaters eröffnet hatte. Nur kann man das „Gericht von damals“ leider nicht für sich selbst kochen.
Wie so oft in japanischen Romanen, deren Geschichte über kleine Episoden verläuft, kennen sich einige der Personen. Sie können sich das Restaurant empfehlen oder tauchen wieder in der Handlung auch. Wenig überraschend kann also auch Kai in seiner Trauer geholfen werden.
Inzwischen gibt es mindestens acht Romane aus Chibis Kitchen. Zu sehr Wohlfühlroman ist es vielleicht dann, wenn man zu viele davon hintereinander liest und eine kleine Überdosis kassiert. Ansonsten aber erinnert „Das Restaurant am Rande der Zeit“ daran, dass sich bei Trauer oder Schwierigkeiten oft neue Wege öffnen können. Manchmal von ungewohnter Stelle, manchmal überraschend von anderen. Erinnerungen müssen nicht immer erdrückend sein.
Das Buch nimmt auch die Anregung sehr ernst, dass gutes Essen zu einer ausgewogenen Stimmung beitragen kann. Jedes Kapitel nennt am Ende grob das jeweilige Rezept. Im ersten Buch der Serie wären das Namerō-Don, Sandwich mit dickem Omelett, Umeboshi-Marmelade und Sukiyaki-Don. Falls das so weitergeht, wünsche ich mir von Yuta Takahashi ein Chibis-Kitchen-Kochbuch.
Takahashi hat übrigens bereits zahlreiche Serien und Bücher geschrieben und so weit ich das überblicke, sind es eigentlich mehr historische Romane und Mysteries. Aber: Café-Romane wie diese sind für Übersetzungen so beliebt, dass das restliche Werk unter den Tisch fällt. Nur besagtes Kochbuch für „Das Restaurant am Rande der Zeit“ scheint es wirklich noch nicht zu geben.
Ähnliche Bücher
Das kleine Café der zweiten Chancen • Das Restaurant der verlorenen Rezepte • Bevor der Kaffee kalt wird (Rezension bei literaturkritik.de) • Samurai Gourmet • Das Mondscheincafé (Rezension bei japanliteratur.net) • Das magische Café

Bibliografische Angaben
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-01931-5
Originaltitel: Chibinekotei no omoide gohan: Kuroneko to Hatsukoi Sandwich (ちばねこ亭の思い出ごはんー黒猫と初恋サンドイッチ)
Erstveröffentlichung: 2020
Deutsche Erstausgabe: 2025
Übersetzung: Yukiko Luginbühl
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