Paul Mulchrone muss gemeinnützige Stunden ableisten und erledigt das auf eine ungewöhnliche Art: Er besucht demente Personen und leistet ihnen Gesellschaft mit Unterhaltung, Brettspielen oder Spaziergängen im Spitalgarten. Dabei übernimmt er jede Rolle, die er zugeschrieben bekommt. Die Einen halten den Mann „mit dem Allerweltsgesicht“ für ihren Enkel, andere für den Sohn. Entscheidend ist, dass die Leute Freude an einem Besuch haben, für den echten Verwandten manchmal die Kraft fehlt.
Eines Tages bittet ihn die Krankenpflegerin Brigit Conroy um eine Stippvisite bei Martin Brown, der seit seiner Einlieferung keinen Besuch hatte. Dabei hat der Mann wegen einer Krebserkrankung nicht mehr lange zu leben. Dement ist er allerdings nicht. Vielmehr wittert er voll Misstrauen, dass Paul ihm wegen seiner dunklen Vergangenheit einen Besuch abstattet und greift an. Doch damit setzt der alte Mann ungewollt eine neue Welle von Verbrechen in Gang.
Als ihn das erste Mal jemand umbringen wollte, war es ein Versehen. Das zweite Mal volle Absicht.
Paul und Brigit geraten nach dem misslungenen Besuch wortwörtlich in die Schusslinie. Die Polizei interessiert sich dafür, was bei diesem Besuch passiert ist und vor allem, was besprochen worden sein könnte. Offenbar haben auch alte Weggefährten des Patienten von Pauls Krankenbesuch erfahren und wollen ihn ganz aus dem Weg haben. Paul ist verständlicherweise verzweifelt: Erstens weiß er nicht, wer ihm nach dem Leben trachtet und warum. Und zweitens darf er mit der Polizei nicht in Konflikt geraten, will er nicht das monatliche Erbe von Tante Fidelma gefährden — „eine lange Geschichte“.
Spannung plus Krimikomödie
C.K. McDonnell weiß verflixt gut, wie man ein Genre geschickt in die Mangel nimmt, ohne es bachab zu schicken. Er platziert nicht nur einen ebenso ahnungslosen wie ratlosen Paul im Rennen. Brigit ahnt, dass sie als enge Begleiterin Pauls nach dem Angriff vermutlich ebenso in der Falle sitzt. Allerdings freut sich die passinonierte Krimiliebhaberin richtiggehend auf ihren „Einsatz“. Mit im Spiel ist DI Jimmy Stewart, der seitens der Polizei für Ordnung sorgen soll. Und eben Bunny McGarry. Auch von der Polizei und dennoch niemand, mit dem man zu tun haben möchte. Paul muss es allerdings, zu seinem Leidwesen.
Paul war einst in Bunnys Hurling-Team und Bunny fühlt sich bis heute für den jungen Mann verantwortlich. Der Polizist hat jedoch die Angewohnheit, zu viel zu trinken, sich daneben zu benehmen und sich äußerst ungern an Regeln und Konventionen zu halten. Nicht dauerbesoffen wie Jack Taylor, aber mindestens ebenso unangenehm wie Jackson Lamb.
Eine undichte Stelle im System
Paul und Brigit wird klar, dass die Polizei ein Leck hat und ihnen in Gesellschaft der Polizei mehr Schaden drohen dürfte als Hilfe. Ihre brenzlige Lage ist mit einem rund dreißig Jahre alten und unaufgeklärten Fall verknüpft und es sieht so aus, als müssten sie diesen lösen, wenn sie heil aus der Sache heraus kommen wollen.
Auch Stewart und Bunny McGarry begreifen, dass sie ihren eigenen Kollegen nicht über den Weg trauen dürfen. Paul und Brigit versuchen, so gut es geht in Dublin unterzutauchen und suchen gleichzeitig nach Wegen, in dieser misslichen Lage zu recherchieren.
Der Mann hatte so viel Grips, dass er im Anzug zehnmal so viel hätte nach Hause bringen können, wie er es mit der Knarre geschafft hat. Aber die meisten Männer sind am Ende doch bloß Jungs, denen man erlaubt hat, Alkohol zu kaufen.
McDonnell, der Stand-up-Comedian, bringt regelmäßig Slapstick und Witz unter. Vom Polizisten bis zum Kleinkriminellen tappt bei ihm jeder Charakter in einen persönlichen Fettnapf. Der Krimi schrie obendrein dank McDonnells Händchen für Pointen und Timing in jedem Kapitel nach einer Verfilmung — szenisch, lebendig und rasant geschrieben. Und tatsächlich: Bunny McGarry ist, wie sich in meiner Nach-Lektüre-Recherche herausstellte, Hauptperson einer ganzen Dublin-Krimi-Reihe, die fürs TV aufbereitet werden soll.
Bei so großartig geschriebenen Krimis, die man nicht mehr aus der Hand legen mag, hoffe ich zweierlei: Dass ich erstens noch mehr Bücher der Serie in die Finger bekomme und dass sich zweitens der Witz hält und nicht matschig läuft.
Bibliografische Daten
Verlag: Eichborn
ISBN: 978-3-8479-0142-6
Originaltitel: A Man with one of those Faces
Erstveröffentlichung: 2016
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: André Mumot