Lord Peter Death Bredon Wimsey, seines Zeichens wohlhabender Spross aus der Familie der Herzöge von Denver und Hobbydetektiv, macht Ferien in Schottland. Er mietet sich mit seinem Butler Bunter in einer Künstlerkolonie ein und freut sich auf Angeln und Golf. Diese Form der Freizeitgestaltung erledigt sich, als einer der Künstler von einer Klippe zu Tode stürzt. Und das direkt nach einem ernsten Streit in einer Kneipe. Wimsey schaut sich den Schauplatz an und plädiert umgehend auf Mord. Die Polizei aus Galloway, die den guten Ruf des Lords als Ermittler kennt, lässt sich auf dessen Theorie ein und beginnt mit den Nachforschungen.
Nur: Gleich sechs Maler kommen als Täter in Frage. Lord Peter muss „fünf falsche Fährten“ zerlegen, denn alle sechs Maler erzählen entweder zu wenig, verbergen etwas oder verschwinden aus diversen Gründen just nach der Tat von der Bildfläche.
Die Strecke zwischen Kirkcudbright und Newton Stewart ist von einer abwechslungsreichen, schwer zu übersehenden Schönheit, und mit einem Himmel voll strahlendem Sonnenschein und aufgetürmten Wolkenbänken, den blühenden Hecken, einer gut ausgebauten Straße, einem temperamentvollen Motot und der Aussicht auf eine schöne Leiche am Ende der Reise fehlt Lord Peter nichts zu seinem Glück. Er war ein Mensch, der sich an kleinen Dingen freuen konnte.
Eine geschlossene Leselücke
Seit Langem spukt mir eine Empfehlung für diesen Krimi im Kopf herum. Ich erinnere mich nicht mehr daran, warum eine Literaturkritik vor so vielen Jahren dieses Buch konkret empfohlen hatte. Mir war allerdings der große Nachdruck im Erinnerung, mit der diese Leseempfehlung ausgesprochen worden war. Wie gut also, dass ich vor einigen Wochen das Buch auf einem Buchaustausch erwischt habe, nicht wahr?
Möglich machte es in diesem Fall eine Neuauflage der Sayers-Romane bei Wunderlich. Die übt sich in klassischer Manier: Das Cover wurde von einer älteren Ausgabe des Hachette-Verlags übernommen. Die Übersetzung stammt aus den 1970er Jahren von Otto Bayer. Da ist bei der Durchsicht zwar ein N-Wort durchgerutscht. Aber insgesamt liefert der Roman einen Schmöker mit „Flow“, der sich hervorragend lesen lässt und den Witz und die Ironie von Dorothy L. Sayers transportiert.
Das Miträtseln gerät knifflig
Jetzt, wo ich das Buch kenne, wüsste ich sehr gerne, warum seinerzeit die Buchempfehlung ausgesprochen worden war. Das Mitraten, was viele Krimis automatisch auslösen, funktionierte hier nicht richtig. Lord Peter und die Polizei haben von Beginn an einen Wissensvorsprung, den sie bis zum Ende nicht hergeben:
(An dieser Stelle erklärt nun Lord Peter Wimsey dem Sergeant, wonach er suchen soll und warum, doch da der intelligente Leser dieses kleine Detail sicher selber beisteuern kann, bliebt es auf dieser Seite unerwähnt.)
(Ich meine, selbst, wenn ich draufgekommen wäre, hätte dennoch ein weiteres Puzzlesteinchen gefehlt.) Danach drehen sich die Ermittlungen ausführlich um den Faktor Zeit. Wie konnte der Täter in welcher Zeit was genau machen? Sayers lässt keine Gelegenheit aus, die Zugverbindungen in Schottland minutengenau zu protokollieren und Wimsey darüber dozieren, welche Züge der Täter hätte nehmen können und welche nicht. Ich habe das Miträtseln kurzerhand aufgegeben und mich vom Ende überraschen lassen.
Detektiv mit spitzer Zunge
Lord Peter enttäuscht mit seinem Stil praktisch nie. Er ist witzig und seine Selbstironie kommt nicht zu kurz. Bei diesem Roman kommt noch eine Besonderheit dazu: Sayers platziert „Fünf falsche Fährten“ in einer realen Umgebung. Das McClellan Arms gibt es tatsächlich und die Züge fuhren tatsächlich wie beschrieben. Hier stimmt jeder Hügel und wer die Klippen sucht, wo Sandy Campbell hinunterstürzte, wird sie einige Meilen von Kirkcudbright auch finden. Die in klassischen englischen Krimis übliche Karte verrät den Ort.
Eines bin ich an dieser Stelle noch schuldig. Ich habe nun eine lang gepflegte Leselücke gefüllt und definitiv meinen Spaß damit gehabt. Aber würde ich voller Inbrunst so eine nachdrückliche Leseempfehlung herausgeben, die bei anderen jahrelang im Hinterkopf schlummert? Eher nicht. Das Buch ist lesenswert und seine Neuauflage wert. Unter den Titeln, die ich von Sayers präsent habe, würde ich eher „Mord braucht Reklame“ bewerben.
Bibliografische Angaben
Verlag: Wunderlich
ISBN: 978-3-8052-0079-0
Originaltitel: Five red herrings
Erstveröffentlichung: 1931
Neuauflage: 2022
Übersetzung: Otto Bayer
Foto: Hanna Smith, unsplash
4 Kommentare
Hallo Bettina
Ich habe unterdessen versucht, meinerseits zu erklären, dass und warum ich bei diesem Buch köstlich amüsiert habe. Wenn Du (oder sonst wer) nachlesen willst:
https://blog.litteratur.ch/WordPress/?p=13412
Liebe Grüsse
Paul
Vielen Dank für den Link – auch deine Rezension ein Lesevergnügen.
Und so gut, dass du auf den Begriff der „red herrings“ eingehst. Mir war er als stehender Ausdruck zwar bekannt, aber die Herkunft eben nicht.
Liebe Grüße, Bettina
Hallo Bettina
Vielen Dank für die Besprechung. Ich weiss nicht, ob das jetzt von Dir so geplant war. Aber ich habe mir das Buch gleich in obiger Ausgabe bestellt. 🙂
Liebe Grüsse
Paul
Hallo Paul,
ach, ich stifte gerne auch zu dieser Lektüre an 😉 Mit Wimsey kann man eigentlich nie etwas falsch machen.
Leider habe ich nicht herausgefunden, warum die erwähnte, damalige Lobrede das Buch so bejubelt hatte. Hatte ich deswegen zu hohe Erwartungen?
Dir viel Vergnügen mit dem spitzzüngigen Lord und
liebe Grüße,
Bettina