Jahresrückblick 2025

Jahresrückblick 2025

von Bettina Schnerr
4 Minuten Lesezeit

Wenn ich an einem Lesejahr etwas nicht missen möchte, dann ist das der Blick zurück. Beim Blättern im Blog kommen Leseerinnerungen hoch, aber auch Überraschungen. Denn nicht immer verorte ich ein Buch richtig im Jahresgedächtnis oder ich kann Erinnerungen präzisieren. Manche Bücher rutschen im Jahresverlauf richtiggehend von der Rampe, andere bleiben ausgesprochen präsent. Statt „Lieblings-Irgendwas“ abzufragen, orientiere ich mich nach wie vor am Fragebogen der früheren „BuchSaiten“-Blogparade.

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat?

Rupert Holmes gehört insofern in diese Rubrik, da das Cover für „How to murder your boss“ extrem lieblos daherkommt. Ob das ein Marktforschungsversuch war oder wirklich ein Schnellschuss, weil gerade keine anderen Ideen da waren — man wird es nie erfahren. Doch letzlich steckte ein unterhaltsamer Racheroman darunter. Ein bisschen Hogwarts-Flair, ein bisschen Krimi-Slapstick, ein bisschen bessere Welt für alle. Und dennoch hoffe ich, dass vermehrt Kündigungen in Mode kommen anstatt Abschlusszertifikate von McMasters.

Auch Uta Seeburg möchte ich mit „Der echte Krampus“ hier einreihen. Nicht, weil ich einen mittelprächtigen Krimi erwartet hätte, sondern weil ich (wie in der Buchvorstellung bereits beschrieben) nach dem Tief des einen Winter- und Weihnachtskrimis hier nicht nur einen besseren gefunden, sondern geradezu einen atmosphärischen und spannenden Höhenflug erlebt hatte. Wir kommen auf das Tief in der nächsten Rubrik auch gleich wieder zu sprechen.

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat?

Wie versprochen führe ich den Bogen aus der vorigen Kategorie hier nahtlos weiter: Gladys Mitchells Weihnachtskrimi „Das Geheimnis der weißen Weihnacht“ ist Buch #1. Dass es eigentlich kein Weihnachtskrimi ist, ist noch das kleinste „Problem“. Der Roman zieht sich über viele Wochen und begleitet aus Perspektive der Lesenden eigentlich das zufällige Herumstochern einer Hauptperson. Irgendwie kommt dann auch tatsächlich eine Lösung zustande; doch so richtig plausibel ist die wirre Herleitung nicht.

Als zweites gesellt sich „Hen na e — Seltsame Bilder“ von Uketsu dazu, was als sensationelle Abwandlung des Krimigenres gefeiert wurde. Junge Männer stolpern über ungewöhnliche Zeichnungen und sehen, dass ihnen ein Rätsel zugrunde liegt. Jene Zeichnungen sind im Buch integriert. „Hen na e“ hat dasselbe Problem wie Gladys Mitchells Buch, wenn auch viel, viel ärger. Es ist unglaublich konstruiert, damit die Grundidee funktioniert, und so entwickelte sich für mich absolut kein Flow. Das seltsame Haus“ ist Uketsus zweites Buch mit ähnlichem Aufbau, aber das lese ich der Vollständigkeit halber nur, wenn es mir zufällig in die Hände fällt.

Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?

Von Natsuko Imamura würde ich in Zukunft gerne mehr lesen. „Die Frau im lila Rock“ war eine sehr hellsichtige Analyse von Dynamiken am Arbeitsplatz, missverstandener Hilfsbereitschaft und Obsessionen.

Die zweite Neuentdeckung ist Shoji Morimoto, auch, wenn ich nicht viel davon haben werde. Denn ein zweites Buch dürfte es eher nicht geben. Denn Shoji Morimoto ist „Rental Person who does nothing„. Zum „does nothing“ gehört folgerichtig, dass er auch nicht schreiben will. Das Buch über seinen ungewöhnlichen Mietservice ist durch viele Fragen von Verleger und Ghostwriter entstanden, die seine Antworten in dieses lesenswerte, lange Essay über das Projekt an sich und den hohen Wert des reinen Daseins verwandelt haben.

Welches Buch wollt ihr unbedingt 2026 lesen und warum?

Als Zora del Buono mir mit „Seinetwegen“ in der Verlagsvorschau auffiel, hatte ich trotzdem nicht sofort zugegriffen. Man hat ja noch dieses im Kopf und jenes. Dann ging es steil mit dem Titel bergauf, mit der Nominierung für den deutschen Buchpreis 2024, dann mit dem Gewinn des Schweizer Buchpreises 2024. Immer noch verlämmerte ich das Buch. Jetzt aber, nicht wahr?

Und dann ist mir da noch ein Titel aufgefallen, der wahrscheinlich ein Kandidat für mein Übersetzungsbingo sein könnte: „The Man who died seven Times“ von Yasuhiko Nishizawa. Ein Krimi mit Zeitschleife aus Japan, der mir jüngst mehrfach in die Timeline gespielt wurde.

Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?

Während ich die Cover für den Jahresrückblick 2025 zusammenstelle, fällt mir auf, dass meine Auswahl dieses Jahr mit einer Ausnahme ziemlich schlicht ausfällt. Aber es sind so viele dabei, die mit ihrer Gestaltung aus großartige Weise das Wesen des jeweiligen Buchs einfangen.

Wie cool ist es bitte, den Buchtitel quasi per Spritzdekor auf das Gewebe eines Anzugs zu setzen? So geschehen bei „Do Re Mi Fa So“ von Tine Melzer und ihrem Roman über einen Sänger, der eines Tages in der Badewanne sitzen bleibt. Kreativ, simpel und doch so effektvoll. Schlicht auch die Schwarzweißaufname für „Ein Sonntag in den Bergen“ von Daniel de Roulet. Der Autor bekannte sich zu einem Brandanschlag auf die Villa von Axel Springer, den er gemeinsam mit einer Freundin begangen hatte. Das Motiv spielt hervorragend mit der Zweideutigkeit des Titels zwischen Freizeitvergnügen und Flucht.

Raffiniert geht es weiter mit „Die Verkrempelung der Welt“ von Gabriel Yoran, mit seinen Gedanken zu miserablem Produktdesign und der Verantwortung dafür. Die Edition Suhrkamp läuft ohnehin schon immer ohne Covermotiv auf — aber statt „irgendeiner“ Farbe gänzt die Oberfläche in diesem Fall silbern. Ich hab’s erst nach meiner Bestellung gemerkt. Aber was für ein genialer Schachzug ist es, den Menschen im Laden durch den Glanz einen Teil der Verkrempelungstaktik durch Bedürfniserzeugung zu demonstrieren?

Bei „Erdrutsch“ rutscht optisch schon das ganze Bild. Für den Roman von Spinnen Wolkenstein schichtet der Kanon-Verlag Vogel und Landschaft so gut ineinander, dass selbst das Gefieder noch wie ein weiterer Berghang zwischen den anderen wirkt. „Die Weltgeschichte in zwölf Bohnen“ ist für jedes Kapitel mit passenden Illustrationen dekoriert. Eine davon ziert das Cover.

Obwohl mich das Buch ratlos hinterlassen hat, ist das Buchcover von „Schwindende Welt“ von Sayaka Murata großartig. Das Buch ist 1. von einer japanischen Autorin und dreht sich 2. unter anderem um künstliche Befruchtung. Seht ihr jetzt auch, dass der Titel nicht nur den Kranich in Anspielung auf Japan zeigt, sondern auch die Hälfte eines Eierstocks und einen symbolischen Eingriff?


Titelbild: Yoann Donze, unsplash

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