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Ross Macdonald, ein Meister des Plots

Ross Macdonald, ein Meister des Plots

Dieser Lesesommer bietet sich geradezu an, auf den Krimiautoren Ross Macdonald aufmerksam zu machen, denn Macdonald wäre im Dezember 2015 100 Jahre alt geworden. Der Kalifornier gilt als einer der besten amerikanischen Krimiautoren und wird gerne in einem Atemzug mit Raymond Chandler und Dashiell Hammett genannt. Im Diogenes Verlag werden seine Werke gerade wieder mit Politur neu aufgelegt: In Zürich hat man eine Neuübersetzung in Angriff genommen.

Ursprünglich war er unter seinem Geburtsnamen Kenneth Millar Dozent. Doch nach seiner Heirat mit Margaret Millar zeichnete sich bald ab, dass sie als Schriftstellerin bessere Einkommensmöglichkeiten hatte als ihr Mann. Es verwundert also wenig, dass Kenneth Millar umsattelte und gleichfalls Krimis veröffentlichte. Zunächst unter seinem eigenen Namen, wenig später bereits unter dem Pseudonym, mit dem er in den späten 1950er Jahren den Durchbruch schaffte, als Ross Macdonald.

Portrait Ross Macdonald; Archiv DiogenesDie Spezialität seiner Geschichten ist stets ein Auslöser, der weit in der Vergangenheit seiner Figuren liegt. Egal, was für einen Auftrag Archer bekommt, er wird grundsätzlich tief in der Vergangenheit graben müssen, Beziehungen und Abhängigkeiten entflechten müssen, um den aktuellen Fall zu lösen. Bei den Romanen mit dem Detektiv Lew Archer benutzt Macdonald diese Grundstruktur in jeder Geschichte. Darüber hinaus bewiesen seine Romane bereits früh ein Interesse an psychologischen Aspekten. „Gänsehaut“ spielt teilweise in einer Psychiatrie und Macdonald blendet den damaligen Stand der Psychologie ein und den beginnenden Diskurs über die Verwertbarkeit von Aussagen vor Gericht.

Obwohl seine Bücher bereits in den 1950er Jahren in Deutsch bekannt waren, beginnt jetzt erst die eigentliche Entdeckung dieses Autoren über das Hardboiled-Etikett hinaus. So schreibt der Diogenes Verlag, der seit 1970 die deutschen Werke herausgibt: „Ross Macdonald wird erst heute so richtig entdeckt als Meister des Plots und der Einfühlung.“

Wie kommt es, dass ein Autor, der im deutschsprachigen Raum eigentlich seit mehr als 60 Jahren bekannt ist, jetzt erst für seinen Stil entdeckt und anerkannt wird?

Ursprünglich war Macdonald -ebenso wie Hammett und Chandler- als Hardboiled-Autor bekannt. Dabei ist sein Detektiv Lew Archer eigentlich ein anderer Typ als die Detektivfiguren seiner Kollegen; Archer ist sehr viel einfühlsamer. Darüber hinaus besitzt Macdonald ein Können, das weit über reine Genreliteratur hinaus geht. Er wird von vielen Schriftstellerkollegen bewundert für seine Sprache und seine meisterhaften Plots.

Donna Leon äußert sich in ihrem Essay über Ross Macdonald zum Beispiel so: „Kaum ein Schriftsteller lässt seine Leser so beiläufig und gekonnt ins Innere seiner Figuren blicken. Raffiniert beschränkt Macdonald seine erzählerischen Kommentare auf ein Minimum und erlaubt den Figuren in seinen Büchern, sich selbst – oder den anderen – mit Worten zu entlarven, die sie bald einander entgegenschleudern, bald wie nebenbei fallen lassen.“

Aus dem englischsprachigen Raum -und mittlerweile auch aus dem deutschsprachigen Raum- kennen wir viele Leserstimmen, die zeigen, wie sehr das Feinfühlige an Macdonald geschätzt wird, nach all den Schwedenkrimis. Auch das war gemeint mit der Formulierung, dass er erst jetzt so richtig als „Meister des Plots und der Einfühlung“ wahrgenommen und geschätzt wird.

Warum hat sich der Verlag für eine Neuübersetzung entschieden? Haben sich eventuell Übersetzungstraditionen oder das Stilempfinden in den letzten Dekaden verändert?

In gewisser Weise schon. Übersetzungen altern ja bekanntlich schneller als Originale. Da es sich um einen Lieblingsautoren von Donna Leon handelt, die auch eine Diogenes-Autorin ist, wollen wir Ross Macdonald ebenfalls in seiner ganzen Modernität neu vorstellen. Auch im Deutschen können wir ja mittlerweile sehr knappe und wenige Sätze machen. Die alten Übersetzungen sind durchaus tauglich. Doch in der Neuübersetzung von Singelmann, der auch Monty Python und Bo Fowler übersetzt hat, wirken die Texte wie heute geschrieben.

Worauf wird bei dieser Neuübersetzung besonders geachtet?

Ein besonderes Augenmerk gilt den Bildern und Metaphern, für die Ross Macdonald berühmt ist. Auch wird ein federnder Satzbau angestrebt, ein sparsamer Stil, genau wie im Original. Karsten Singelmann ist außerdem ein großer Krimikenner mit viel Erfahrung. Im Herbst wird übrigens der nächste Titel in neuer Übersetzung erscheinen, „Der Untergrundmann“, ein Buch, das 1974 unter dem Titel „Familiengeheimnisse“ verfilmt worden war. Und wir setzen die Neuübersetzungen gerne fort, wenn die Titel bei den Lesern und Krimikennern weiterhin so gut ankommen.

Die Lew Archer-Titel bei Diogenes

→ aufgelistet sind die Titel der Neuübersetzungen, Verlinkungen führen zu Buchvorstellungen und Rezensionen auf Bleisatz

Der blaue Hammer (The blue hammer, 1976)
Dornröschen (Sleeping beauty, 1973)
Gänsehaut (The chill, 1964)
Der Untergrundmann (The unterground man, 1971)
Schwarzgeld (Black Money, 1966)
Mutter und Tochter (The Wycherly Woman, 1961)
Unterwegs im Leichenwagen (The zebra-striped hearse, 1962)


Fotos v.o.n.u.: Bettina Schnerr; Archiv Diogenes Verlag

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