Close

Bleisatz

Literatur, Rezensionen & mehr

Berit Glanz – Filter

Berit Glanz – Filter

Berit Glanz - Filter.
Ein kurzes Sachbuch / Essay über die neue (Selbst-)Wahrnehmung, die durch dieses Social Media-Tool entstanden ist.

Wer auf Social Media unterwegs ist, macht ganz unvermeidbar Erfahrungen mit Filtern. Sei es, dass sie zum eigenen Repertoire gehören, sei es, dass im Feed (oft erkennbar) nachbearbeitete Bilder zu sehen sind. Das Spektrum reicht von Aufnahmen, die starke Kontraste verpasst bekommen oder deren Farbsättigung verändert wird, bis hin zu Filtern, die Gesichtern ulkige Attribute verpassen. Doch: Diese Filter sind „viel mehr als Katzenohren“.

Was früher nur Profis mit der entsprechenden Ausstattung schafften, kann heute jeder ausprobieren. Aus einem Tool für Filme oder Werbung wurde ein Tool, das zu unserem Alltag gehört und unsere Sehgewohnheiten verändert hat.

In der Reihe „Digitale Bildkulturen“ aus dem Wagenbach Verlag zeichnet Berit Glanz den Weg der Filter nach und schaut, welche Nutzen und welche Probleme sich mit Filtern im Lauf der noch kurzen Zeit bereits ergeben haben.

Gestaltung mit nur einem Klick

Wie es der Zufall wollte, sortierte ich gerade alte Bilder auf der Festplatte, als ich „Filter“ in die Hand bekam. Das Lesen wurde unversehends zu einem visuell begleiteten Ausflug in die Anfänge der Filter. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich mit einigen der frühen Filter selbst experimentiert hatte. Auf der Festplatte lagern noch eine Handvoll Bilder von 2012, die sich in quadratische Effektfotos verwandelt hatten. Da sieht eine flügge werdende Blaumeise verflixt cool aus und die „Bildnotizen“, mit denen ich damals eine Geschenkverpackung dokumentieren wollte, wurden Kunst. Und ganz ehrlich: Die Geschenkfotos würden heute nicht mehr existieren, hätte ich damals einfach die Kamera ohne weitere Spielerei draufgehalten. Ich habe in all den Jahren viele Bilder gelöscht und diese hier gibt es nur wegen dieser Effekte noch. Quadratisch, abgedunkelt und gerahmt.

Auf meiner Festplatte kehrt erst einmal „Filter-Ruhe“ ein. Bei den Filtern selbst geht der Wandel unaufhörlich weiter. Die ersten Social-Media-Plattformen entwickeln sich, auf denen die Filter zum Standardrepertoire gehören. Glanz erklärt, wie sich die Welt der Anbieter etabliert und infolgedessen auch gewandelt hat. Der Erfolg der Filter führte dazu, dass es sich heute kein Social-Media-Anbieter mit Bildfokus, geschweige denn ein Handyanbieter leisten kann, auf ein gewisses Filterangebot zu verzichten.

Wenn etwas erfolgreich ist, lässt sich auch Geld verdienen: Freilich entwickelten sich spezifische Filter, zum Beispiel unter dem Label von Influencer:innen, für die Kosten fällig wurden. Restaurants stellten ihre Gerichte so um, dass sie für Social Media attraktiv fotografiert werden konnten.

Nicht alles ist frisch und bunt

Meist herrscht der der Spaß am Filtern vor. Auf meiner Festplatte machen Filter-Bilder erst im Jahr 2017 wieder Stippvisite, entstanden mit Snapchat (siehe das knallrote Fließ-Gesicht im Beitrag). Snapchat selbst hatte mich nie interessiert. Nur die Filter waren interessant. So weit kann der Spaßfaktor gehen, dass die Möglichkeiten der Inszenierung spannender waren als das Teilen.

Doch es gibt auch Fallstricke. Berit Glanz widmet sich ausführlich den Problemen, die mit Filterfunktionen einhergehen. Darunter jenes, dass sich mit Handykameras praktisch keine farbtreuen Fotos von speziellen Lichtstimmungen mehr machen lassen, weil in der Regel automatische Korrekturen eingebaut sind.

nachbarbeitetes Bild von einem dramatisch aussehenden Wolkenhimmel. Bild: Bettina Schnerr
Bei diesem Bild (2017) half ich mit Bildbearbeitung für die originale Finsternis an diesem Nachmittag nach. Die Handykamera hatte das Bild weichgespült.

Zwei weitere Aspekte stehen hier jedoch viel mehr im Vordergrund. Der Eine ist die perfekte Welt. Filter verschlanken, lassen Hautprobleme verschwinden und verwandeln die meist weiblichen Influencerinnen mit Modelqualiäten. Wir unterschlagen mal, dass deshalb viele junge Frauen und ihre Feeds obendrein eine zeitlang fürchterlich gleich aussahen (ich weiß zum Glück nicht, ob das immer noch so ist). Auch Mama-Blogs unterschlagen in ihren Fotowelten Stress, Staubflusen, Krümel und Dauerflecken. Was macht das mit Mädchen, die solche Bilder ständig in ihre Feeds gespült bekamen?

Glanz diskutiert die Beobachtung, dass Jugendliche ein falsches Körperbild von sich entwickeln können und darunter leiden, nicht so perfekt auszusehen. Parallel schärfte sich aber auch das Bewusstsein dafür, dass die Bildwelten in den Social Media eine hohe Künstlichkeit haben.

Filter konfrontieren uns regelmäßig mit den Wahrnehmungsmustern unserer Gesellschaft, im Positiven wie im Negativen.

Der zweite Aspekt ist das Training der Algorithmen, die Gesichtsfilter möglich machen. Sie sorgen bei einigen Anwendungen für rassistische Effekte. Glanz schildert, wie es durch das Training der Algorithmen mit eingeschränkten Datensätzen dazu kommt. Bislang, so ihre Beobachtung, dienen diese Einschränkungen noch als Entschuldigung der betreffenden Unternehmen. Aber noch nicht als Initialzündung dazu, die Datensätze grundlegend zu verbessern.

Ein Ausblick

Mittlerweile ziehen Filter und Bildbearbeitung in die nächste Runde ein, kolorieren sie nach und bewegen Fotos. Das ist auf Anhieb für die meisten ganz lustig, aber auch hier tun sich schon erste Abgründe auf. Während das Bewusstsein für Filter bei Standbildern wächst, könnte man derzeit mit „Deep Fakes“ noch so ziemlich jeden reinlegen.

Ich weiß nicht, warum mir in diesem Zusammenhang der Blockbuster „Die Wiege der Sonne“ einfällt. Das war 1993, also wirklich eine ganze Weile her. Vermutlich, weil ich damals zum ersten Mal eine so gute Filmmanipulation gesehen hatte, die — wäre sie nicht erkannt worden — eine Mordaufklärung vertuscht hätte. Schon damals war es beängstigend zu sehen, was sich mit den nötigen Mitteln in intriganten Hände erzielen lässt.

Aber, so Glanz, gibt uns künftig gerade der spielerische Umgang mit Filtern und Manipulationstools die nötige Sensibilität dafür, was Bilder erzählen können und was nicht. Vielleicht schärfen sie unsere Antennen, lassen uns eher misstrauisch werden und nicht so lange manipulieren wie die Film-Cops von 1993. Inzwischen gibt es Bilder und Filme, die genau diesen Zweck verfolgen. Die politischen Realitäten werden den technischen Möglichkeiten immer hinterherhinken. Es sollte also wohl wirklich unser Job sein, sich mit Filtern aktiv auseinanderzusetzen. Und sei es in erster Linie zunächst, um sich Hasenohren zu verpassen.

Romane von Berit Glanz:
PixeltänzerAutomaton

Portrait Bettina Schnerr, mit einem Snapchat-Filter, Aufnahme von 2017.
Bettina, Portrait mit Snapchat-Filter, 2017

Bibliografische Daten

Verlag: Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3728-9
Erstveröffentlichung: 2023

Linktipp

Berit Glanz‘ Newsletter Phoneurie, in dem sie zweiwöchentlich sozialmediale Phänomene begleitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Close
Cookie-Einstellungen
Auf dieser Website werden Cookie verwendet. Diese werden für den Betrieb der Website benötigt oder helfen uns dabei, die Website zu verbessern.
Alle Cookies zulassen
Auswahl speichern
Individuelle Einstellungen
Individuelle Einstellungen
Dies ist eine Übersicht aller Cookies, die auf der Website verwendet werden. Sie haben die Möglichkeit, individuelle Cookie-Einstellungen vorzunehmen. Geben Sie einzelnen Cookies oder ganzen Gruppen Ihre Einwilligung. Essentielle Cookies lassen sich nicht deaktivieren.
Speichern
Abbrechen
Essenziell (1)
Essenzielle Cookies werden für die grundlegende Funktionalität der Website benötigt.
Cookies anzeigen