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„Bei der Titelwahl sind Verlage nicht sehr wagemutig“: Sabine Mangold im Gespräch

„Bei der Titelwahl sind Verlage nicht sehr wagemutig“: Sabine Mangold im Gespräch

Die Berlinerin Sabine Mangold übersetzt seit mehr als 30 Jahren japanische Literatur ins Deutsche — doch nicht nur: Zu ihrem Spektrum gehören auch Sachbücher, Essays oder Filmsynchronisation. Das breite Schaffen spiegelt sich in diesem Jahr wieder, wo sich zwei der von ihr übersetzten Romane im weitesten Sinne um Lebenshilfe drehen, platziert neben einem autobiografischen Essay und einem Thriller. Ebendieser, ‚Suzukis Rache‘, paart Witz mit Spannung und ist auf seine Weise mindestens ebenso filmreif geschrieben wie der besser bekannte ‚Bullet Train‘. Die Coolness der Hauptfiguren bringt Mangold mit ihrer Übersetzung wunderbar auf den Punkt. Ein ausgezeichneter Anlass, mit ihr über ihre Arbeit zu sprechen.

Kotaro Isaka - Suzukis Rache

Suzukis Rache‘ ist eigentlich das erste Buch einer Trilogie, obgleich es als zweites erschien. Hatten Sie zuvor ‚Bullet Train‘ gelesen, um sich in den „Sound“ einzulesen oder ist so ein Schritt nicht unbedingt notwendig?

Ich habe ‚Bullet Train‚gelesen und mir danach die Verfilmung angeschaut, die ich ziemlich misslungen fand.

Bullet Train - Kotaro Isaka

Bei dieser Lektüre kam mir sofort Tarantino in den Sinn. Aber ganz so schnoddrig ist der Tonfall in ‚Suzukis Rache‘ gar nicht – ausgenommen die Dialoge zwischen Zikade und seinem Boss Iwanishi. Der Witz bzw. Slapstick-Effekt lebt eher von den Miss-Interpretationen und Verwechslungen, insbesondere bei den Halluzinationen des Wals.

Kotaro Isaka hat in einem Interview zu seinen Büchern einmal gesagt, ein wichtiges Element bei ihm seien Wortspiele. Das klingt nicht, als sei das Buch immer leicht zu übersetzen gewesen. Können Sie Beispiele nennen für Wortspiele, die sich übertragen ließen oder andere, die verloren gingen?

Das ist mir nicht als hervorstechendes Merkmal aufgefallen. Durch die Möglichkeit, die bedeutungstragenden Schriftzeichen (Kanji) im Japanischen phonetisch auf verschiedene Weise zu lesen, lassen sich Wortspiele ableiten. Es gibt aber nur zwei Stellen, wo Personennamen fehlgedeutet werden.

Die erste Szene spielt in der Obdachlosensiedlung, wo der Wal im Delirium den Namen seines Opfers preisgibt, nämlich Kaji, was von seinem Gesprächspartner als ‚Feuer/Brand‘ (Kaji) missverstanden wird. Ich habe den japanischen Begriff mithilfe einer deutschen Apposition ergänzt:

 „Kaji? Ein Brand?“
(Später klärt der Wal das Missverständnis auf)
„Und warum hast du ständig ‚Feuer … Feuer‘ gestöhnt?“, redet Zahnlücke dazwischen.
„Nicht Kaji wie bei ‚Feuer‘, sondern ‚Kaji‘ für Maulbeerbaum, das ist ein Familienname.“

Die zweite Szene ereignet sich auf dem Grundstück von Asagao, als dieser sich vorstellt, worauf Suzuki sich nach der Schreibung des Familiennamens erkundigt.

„A-sa-ga-o“, stellt er sich lapidar vor.
Als Suzuki sich nach der Schreibweise des Namens erkundigt, malt er ein Zeichen in die Luft.
„Ist das nicht das Zeichen für ‚Hibiskus‘?“
Asagao zuckt bloß mit den Schultern. „Was wollen Sie?“

Hier hatte ich dem Verlag eine Fußnote zur Erklärung vorgeschlagen, dass japanische Namen oft homophon sind bei unterschiedlicher Schreibweise. Asagao mit zwei Kanji (朝顔) ist die Bezeichnung für ‚Prunkwinde‘, während Asagao als Einzelzeichen (槿, hier der Familienname) zwar gleich gelesen wird, aber ‚Straucheibisch, Hibiskus‘ bedeutet. Diese wurde in der Druckfassung aber nicht übernommen.

Sabine Mangold
Sabine Mangold. Foto:

Gehört der Originaltitel ‚Grashüpfer‘ zu diesen Wortspielen?

Gewissermaßen. Der Originaltitel ist aus dem Englischen entlehnt: Gurasuhoppa. Im Roman gibt es verschiedene Anknüpfungspunkte zu ‚Grasshopper‘: Einer der Protagonisten heißt Zikade. Die wimmelnde Menschenmenge wird in einigen Szenen mit krabbelnden Insekten verglichen und Asagaos jüngerer „Sohn“ zum Beispiel sammelt Insekten-Sticker.

Auf englisch heißt das Buch ‚Drei Killer‘, im Original eben ‚Grashüpfer‘ und auf Deutsch ‚Suzukis Rache‘. Gibt es einen der drei, der für Ihr Empfinden das Buch besonders gut beschreibt?

‚Grasshopper‘ hätte ich witziger gefunden als den lapidaren Titel ‚Suzukis Rache’ oder ‚Drei Killer (Three Assassins)‘. Der englische Begriff ‚Grasshopper‘ hätte vorzüglich zur deutschen Fassung ‚Bullet Train‘ gepasst, denn beide Titel sind dreisilbig, und obendrein passt er noch besser zu dessen Originaltitel ‚Maria Beetle‘. Das ist ein Wortspiel mit Marienkäfer und eben auch ein Insekt.  Die Verlage sind da generell nicht sehr wagemutig. Ich gräme mich oft über die Titelwahl im Deutschen. Genauso wie über die Umschlagentwürfe.

Nehmen Sie für spezielle Passagen bei einzelnen Büchern auch schon mal Kontakt mit Autor oder Autorin auf?

Das ist mir leider noch nie gelungen, obwohl ich vielfach angefragt habe. Die Autor*innen werden von den Agenten und Verlagen total abgeschirmt. Angeblich, um sie nicht in ihrem aktuellen Schaffensprozess zu stören.

Wie viel Zeit haben Sie für einen belletristischen Titel in der Regel?

Üblicherweise sind es 3 bis 9 Monate.

Wie viel war es hier? Mein Eindruck ist, dass der Verlag wegen der Hollywood-Verfilmung bei den Isaka-Titeln insgesamt sehr schnell arbeiten musste.

Es gab genug Zeit. Der Text war umfangreich, aber flott geschrieben. Gebremst haben mich nur die zahlreichen logischen Fehler. Isaka hat sich wohl selbst von seiner Rasanz mitreißen lassen. 

Isaka ist außerhalb Japans mit ‚Bullet Train‘ sprunghaft bekannt geworden. In Japan ist er länger schon ein prominenter Autor mit vielen Preisen und einer Publikationsliste von mehr als 40 Büchern. Kannten Sie schon zuvor Werke von ihm?

Nein, ich kannte ihn nicht. In Japan ist er seit 1996 für andere Werke aus der Gattung Mystery Fiction prämiert worden. Sein Bestseller dort war ‚Golden Slumber‘ (‚Remote Control‘). Diese Werke würden mich mehr interessieren als die Thriller-Trilogie.

Wie intensiv recherchieren Sie Autoren oder Titel, wenn Sie für eine Übersetzung angefragt werden?

Meistens gibt es ein inhaltliches Exposé oder ich werde selbst beauftragt, eines anzufertigen. In diesem Zusammenhang erfahre ich genug, um zu entscheiden, ob mich das Buch interessiert. Neuerdings stehen herzerwärmende Geschichten (Lieblings-Sujet: Katzen und Bücher) bei den deutschen Verlagen auffällig hoch im Kurs, deren Übersetzungen ich zwar teils annehme, aber eher zähneknirschend, da zu seicht für meinen Geschmack.

Gäbe es Dinge, die Sie lieber nicht übersetzen? Es gibt, als Beispiel, im Horror-Genre Szenen, die sehr unschön zu lesen sind und Leser*innen im Kopf verfolgen. Gilt das für Übersetzende ebenso?

Sich um Kulinarik rankende Erzählungen (auch ein beliebtes Sujet) lehne ich kategorisch ab. Gegen obsessive Geschichten hätte ich allerdings nichts einzuwenden.

Der Roman ‚13 Stufen‘ von Kazuaki Takano, der minutiös das Procedere der Todesstrafe in Japan beschreibt, war extrem gespenstisch, aber auch sehr informativ und beeindruckend. 

Gab es im Lauf der Zeit einen Autoren oder eine Autorin, die Sie mit Ihrem Text auf besonderen Weise überrascht hat? Falls ja, wie?

Ich übersetze seit Jahren Yoko Ogawa, die mich mit ihrer skurrilen Themenwahl immer wieder gut unterhält, obwohl ihre Ausführung manchmal sehr ins Naive und Unlogische abgleitet. Andererseits passt es zum Genre ‚Magischer Realismus‘.

Yukio Mishimas Romane finde ich faszinierend. Bisher konnte ich lediglich den sehr schwer zugänglichen Essay ‚Sonne & Stahl‘ (soeben erschienen) übersetzen und wünsche mir in Zukunft, auch seine fiktionalen Texte ins Deutsche übertragen zu dürfen. Die Zusicherung des Copyrights ist hier sehr schleppend.

Wie begann ursprünglich Ihre Laufbahn als Literaturübersetzerin?

Als ich 1989, kurz vor dem Mauerfall, von einem dreijährigen Japanaufenthalt als Lektorin an der Universität Niigata nach Deutschland zurückgekehrt war, bekam ich zunächst einen Auftrag für eine Anthologie: ‚Momentaufnahmen moderner Japanischer Literatur‘, für die angehende Übersetzer literarische Auszüge zu fotografisch porträtierten Autor*innen lieferten. Das war ein toller Einstieg. Seitdem mehrten und mehren sich die Aufträge jährlich.

Sie arbeiten parallel als Yoga-Lehrerin. Wie gestalten Sie die beiden Laufbahnen nebeneinander? 

Es ist eine wunderbare Doppelkarriere, bei der eine Tätigkeit die andere ausgleicht. Wenn ich tagsüber am Text sitze, kann ich meine Haltungsschäden prima im Yogakurs kurieren, und mich davon wiederum anschließend am Schreibtisch erholen. Zwei Tätigkeiten, die mir Freude bereiten UND mich ‚er/nähren‘ – eher eine Berufung.

Es gibt kaum Sachbücher aus Japan. Können Sie sich vorstellen, warum Verlage  in diesem Bereich keine Manuskripte einkaufen? Liegt es am Aufwand, der Erzählweise oder vielleicht etwas ganz anderem?

Gibt es so wenige? KonMari, die Aufräum-Queen, ist zum Beispiel ein Mega-Bestseller. Ich würde gern Sachbücher zu philosophischen oder ästhetischen Themen übersetzen. Hin und wieder bekomme ich Aufträge für Kunst-Kataloge. Das macht mir großen Spaß und wird auch gut honoriert.

Schlagen Sie selbst Titel für die Übersetzung vor? Immerhin gibt es wenig Menschen, die bei japanschen Titeln so direkt urteilen umd empfehlen können wie die Übersetzenden.

Ich habe den Verlagen, für die ich bereits übersetzt habe, immer mal wieder interessante junge japanische Autor*innen vorgeschlagen, sogar mit Leseproben. Aber bisher erfolglos. Es werden immer wieder die für mein Empfinden zu seichten Bücher bevorzugt, welche die japanischen Agenten anschleppen und empfehlen. Leider auch mitunter ‚olle Kamellen‘, die zwanzig bis dreißig Jahre alt sind und völlig überholt – eben keine Klassiker, die alle Moden hinter sich lassen.

Mithilfe von Initiativ-Stipendien habe ich ein wenig Einfluss in der Autorenwahl. Daraus resultierte auch meine Übersetzung von ‚Sonne & Stahl’.

Welches Werk würden Sie gerne für eine Übersetzung vorschlagen und warum?

Das fiktionale Werk von Mishima. Seine skandalöse Art amüsiert mich. 


Vier persönliche Buchtipps

Aus den zahlreichen Übersetzungen, die inzwischen aus ihrer Feder stammen, empfiehlt Sabine Mangold unter anderem diese:

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