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Julia Kohli – Böse Delphine

Julia Kohli – Böse Delphine

Julia Kohli - Böse Delphine

Halina ist eine junge Studentin in Zürich, Ende Zwanzig. Sie jobbt im Buchkiosk am Zürcher Flughafen und arbeitet unterschiedlich motiviert an ihrer Semesterarbeit. Ihre Tage sind vergleichsweise ereignislos: Sie trifft sich mit ihren Freunden Rico und Nada, geht gelegentlich auf Partys, zu Vernissagen und ins Museum und verbringt viel Zeit damit, die Leute am Flughafen zu studieren.

So richtig ihren Platz haben Halina und ihre Freunde noch nicht gefunden. Sie sind spürbar auf der Suche, wie die Zukunft aussehen soll und vor allem, mit wem sie sie verbringen möchten. Während Nada über ihre Beziehung zu einem Studienkollegen grübelt, lernt Halina den Archäologiestudenten Elias kennen, der sie mit Charme begeistern kann und trotzdem überraschend wenig Kribbeln verursacht.

Für irgendetwas müssen diese sieben Jahre an der Kunsthochschule gut gewesen sein. All die Steuergelder, die da draufgingen, nur damit ich jetzt kellnern gehen kann!

Wie soll das Leben weitergehen?

Eine richtige Perspektive tut sich nicht auf. Eigentlich auch nicht so ungewöhnlich: Man probiert sich aus, solange es noch geht und gleichzeitig sind sichere Perspektiven für durchweg alle Studierenden keineswegs mehr so selbstverständlich. Julia Kohli fängt das unsichere Schweben dieser Generation mit einer gewissen Leichtigkeit ein. Ihre Figuren wirken nicht orientierungslos. Sie kennen ihre nächsten Ziele einfach noch nicht; sie suchen und vertrauen darauf, dass es ihnen gelingt.

Kohlis Roman ist als Satire etikettiert. Dafür ist er aber eigentlich viel zu geerdet und nicht so dauerhaft überzeichnet wie beispielsweise Adults. Es gibt pointierte Zuspitzungen, wie die unbegreifliche Performance eines Selbstdarstellers auf einer Geburtstagsfeier oder das fast kathedrale Zuhause einer früheren Freundin, um den Wohlstand zur Geltung zu bringen. Doch genau das gibt es in dieser Form, Szenerien, in denen sich Halina nicht wohlfühlt und gegen Ende auch verstehen wird, warum.

Beziehung ja, aber bitte nicht so!

Dafür passiert in auf der Beziehungsebene sehr viel mehr. Nadas Freund, ebenfalls ein Künstler, entpuppt sich als gewalttätig, Ricos Freund will sich zur gemeinsamen Beziehung nicht bekennen und auch Elias zeigt schnell Schwächen. Zu Beginn ist Halina noch unsicher, warum der anfangs so begehrenswerte Mann nach kurzer Zeit schon lasch erscheint. Sie sucht die Schuld bei sich, versucht es mit „Motivationsreden“ an sich selbst. Doch spätestens nach einem entlarvenden Besuch bei der verheirateten Freundin Monika kann sie ihre widersprüchlichen Gefühle ziemlich eindeutig einordnen: „Könnte es sein, dass er einfach ein Vollpfosten ist?“

Dieser Blick auf Beziehungen ist Julia Kohli stark gelungen. „Böse Delphine“ zeigt dabei auf klassische Rollenmuster, die sich in den vermeintlich besser aufgeklärten jüngeren Generationen hartnäckig halten. Kohli hat einmal erzählt, dass sie sich früh die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen erarbeiten konnte und dem Roman ist anzumerken, dass sich ihre Figuren diese Befreiung ebenfalls erarbeiten sollen. Freilich suchen bei Kohli auch die Frauen zuerst die Schuld für schiefe Beziehungen bei sich, statt ihren Instinkten zu vertrauen. Der Weg ist nicht frei von Stolperfallen, aber begehbar.

Genau wissen, was man nicht will

Nadas Künstlerfreund versucht, seine Erfolge auf Nadas Kosten zu erzielen, und schreckt vor Drohungen und Stalking nicht zurück. Ein „falscher Satz“ zeigt Nada, dass der richtige Zeitpunkt für eine Trennung gekommen ist. Monika hat einen zwar reichen Mann, musste dafür aber sich selbst aufgeben. Und auch Elias steckt bereits in hoch konservativen und selbstverliebten Fahrspuren. Halina wird klar, dass sie genau dasselbe Schicksal ereilen würde wie Monika, mit einem Mann, der sich selbst als wichtiger als die Partnerin wahrnimmt. Dass Halina richtig liegt, zeigt sich an Elias‘ beleidigter Reaktion, als sie sich mit Bestimmtheit von ihm trennt.

Die drei Protagonisten mögen vielleicht nicht so recht wissen, was sie wollen, aber sie wissen am Ende verdammt gut, was sie nicht wollen. Langfristig gesehen, finde ich, ist das ein unglaublich wichtiger und gerne unterschätzter Ausgangspunkt.


Der Roman „Böse Delphine“ wurde 2018 mit dem Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosadebüt ausgezeichnet.


Bibliografische Angaben

Verlag: Lenos Verlag
ISBN: 978-3-85787-496-3
Erstveröffentlichung: 2019

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