Ich lese mich rund um die Welt — Bücher für mehr Weltoffenheit

von Bettina Schnerr
5 Minuten Lesezeit
Foto: Don Ross III / unsplash

Wisst ihr, was eine literarische Weltreise ist? Über mehrere Jahre war ich selbst auf so einer Reise unterwegs und es ist ganz einfach: Sucht euch Länder dieser Welt aus, wählt Bücher, die in diesem Land spielen und idealerweise von Autoren aus diesem Land geschrieben wurden.

Meine Reise begann ursprünglich mit 25 Ländern, je fünf aus den Kontinenten Europa, Nordamerika, Südamerika, Afrika und Asien. Irgendwann verselbständigte sich die Idee und es kamen am laufenden Band neue Länder hinzu. Fertig bin ich noch lange nicht, auch, wenn ich seit einigen Monaten Reisepause mache.

Literarische Weltreise; rot markiert sind die Länder, die ich dafür gelesen habe.

Warum ich euch davon erzähle? Weil mich diese Weltreise an zahllose Plätze geführt hat, die ich mit den üblichen Lektürenschemata sicher niemals gefunden hätte. An meine verschiedensten Reiseerinnerungen musste ich denken, als ich vom Projekt „Bücher für mehr Weltoffenheit“ #bücherfürmehrweltoffenheit der Bloggerinnen Katja (Kakaoschnuten) und Eliane (Mint & Malve) gelesen habe.

Eliane schreibt in ihrem Beitrag:

Bücher eröffnen uns neue und andere Welten, lassen uns über unsere Nasenspitze hinausdenken, fordern uns auf, neue Perspektiven einzunehmen. Bücher lassen uns eintauchen in die Vielfalt der Bilder, der Kulturen und Sprachen. Sie fördern das Ein- und das Mitfühlen. Sie fördern Toleranz und Akzeptanz.

Dass Bücher uns Verständnis lehren und neue Perspektiven entdecken lassen, wissen wir eigentlich längst. Sie zeigen uns zudem, wie andere Kulturen leben, wie sie denken und organisiert sind. Umso mehr, wenn man den Sprung ins kalte Wasser wagt und ganz gezielt von seinem üblichen Lesespektrum abweicht.

Lasst euch auf Neues ein! Mit Büchern kann man ganz entspannt darauf zugehen und aufsaugen, wie die Welt auf der anderen Seite des Tellerrands aussieht. Je weniger man sich traut, umso stärker kocht man irgendwann im eigenen Saft — das finde ich jammerschade. Lesen ist eine Expedition und mit Büchern geht ihr auf die vielfältigste und exotischte Expedition, die man sich nur wünschen kann.

Eine Auswahl der Bücher von meinen Reisen stelle ich euch heute gerne vor, denn mir hat diese Weltreise viele Einblicke gewährt, die ich sonst niemals gefunden hätte.

Fangen wir an mit einem Land, in das nur sehr wenige Menschen reisen können: Nordkorea. Hier lebte für kurze Zeit der Zeichner Guy Delisle und gestaltete nach seinen Erfahrungen die Graphic Novel Pjöngjang (→ Rezension). Delisle war dort, um die Arbeiten für einen Zeichentrickfilm zu überwachen. Es gibt einige wirtschaftliche Zusammenarbeiten mit diesem isolierten Staat, über die jedoch niemand sprechen darf. Dass Delisle über seinen Aufenthalt Auskunft geben konnte, liegt daran, dass es das Unternehmen, dem er die Stillschweigevereinbarung gegeben hatte, nicht mehr gibt und die Vereinbarung hinfällig wurde. Herausgekommen ist ein Werk über einen surreal anmutenden Alltag, der Delisle an Orwells 1984 erinnerte: „… die erneute Lektüre in der letzten Bastion des Stalinismus lässt mich die Scharfsinnigkeit seiner Vorahnungen erst richtig ermessen.

In Argentinien spielt Die unterirdische Schlacht (→ Rezension), der erste Roman eines einheimischen Schriftstellers, der sich mit dem Falklandkrieg auseinander setzt. Rodolfo Enrique Fogwill schreibt über die Erfahrungen einer Kämpfergruppe, die sich in ein Höhlensystem eingebuddelt hat, weil das karge Eiland kaum andere Verstecke bietet. Absurde Szenarien unter klimatischen Rahmenbedingungen, die wir uns kaum vorstellen können.

Ein Sachbuch zur kleinsten Republik der Erde ist Nauru: Die verwüstete Insel (→ Rezension). Der Franzose Luc Folliet schrieb es mit dem Untertitel „Wie der Kapitalismus das reichste Land der Erde zerstörte“. Naurus Rohstoff war einst Naturdünger, der das Land unfassbar reich machte. Mit den riesigen Mengen Geld umzugehen, konnte allerdings niemand. Falsche Ratgeber, überzogene Vorstellungen von der Haltbarkeit der Ressourcen, keine Nachhaltigkeit — in Nauru lief alles schief, was schiefgehen konnte. Die Insel mag klein und unbedeutend sein. Und doch ist ihre Wirtschaftsentwicklung ein Mikrokosmos, der auch in größeren Einheiten ablaufen kann. Folliet hat eine Warnung geschrieben.

Eines der bescheuertsten und unpassendsten Cover überhaupt liefert Billard mit Kokosnüssen (→ Rezension). Dabei ist das Buch keineswegs ein albernes Buch über Kiribati, das eine Vielzahl von Inseln Mikronesiens und Polynesiens umfasst. J. Maarten Troost lebte längere Zeit auf der Insel und spürte eindrucksvoll, dass sich das Leben dort nicht nur einfach von zu Hause unterscheidet. Sondern auch warum. Deshalb wundert er sich immer wieder, wie ahnungslos Hilfsorganisationen manchmal sein können: Mehr als einmal gibt’s unbrauchbare Tipps, weil jene Ratgeber keine Ahnung vom Leben vor Ort haben. Direktes Eintauchen in die Südsee: Mit den Kokosnüssen geht’s.

Auf den Spuren von Mr. Spock (→ Rezension) verdankt seine Neuauflage der Frankfurter Buchmesse, auf der Indonesien 2015 Gastland war. Die Reise von Nigel Barley fand bereits in den 1980er Jahren statt. Nichtsdestotrotz ist sein humorvoller Reisebericht eine großartige Möglichkeit, den Inselstaat mit seinen zahlreichen Dialekten und Sprachen kennenzulernen. Barley selbst ist Ethnologe. Umso vielschichtiger gerät der Bericht. Einerseits schaut er als Wissenschaftler auf das Gastland, andereseits versteht er als Mensch die Grenzen der Ethnologie und der Methodik. Das macht den Reisebericht sehr aufrichtig und wertvoll.

In Namibia spielt der Roman Die Stunde des Schakals. (→ Rezension). Geschrieben hat ihn der Deutsche Bernhard Jaumann, der einige Jahre in Namibia gelebt hat. Jaumann erzählt von der Vergangenheit unter einem Apartheid-Regime, das das Land bis heute nicht losgelassen hat. Es geht um den realen Mord an einem populären und erfolgreichen weißen SWAPO-Anwalt. Die Wut auf die CCB, eine Organisation, die Anti-Apartheids-Aktivisten aus dem Weg räumte, ist noch nicht verloschen. Ein Roman und Krimi, der zeigt, wie unglaublich lange es braucht, um gravierende gesellschaftliche Einschnitte auch nur ansatzweise zu glätten.

„Ich fotografiere, weil ich – vielleicht naiverweise – glaube, damit zur Völkerverständigung und zum Frieden beitragen zu können.“ Das sagte einmal der Pharmazeut und Fotojournalist Didier Lefèvre zu seiner Motivation, immer wieder mit Médecins sans Frontières / MSF zu reisen und deren Tätigkeit vor allem in Afghanistan zu dokumentieren. Aus den Fotos seiner ersten Reise (mitten im Krieg zwischen der Sowjetunion und den Mudschaheddin) entstand die dreiteilige Graphic Novel Der Fotograf, (→ Rezension) ursprünglich, weil die Zeitungen von seinen zahlreichen Fotos kaum welche abdrucken konnten. Emmanuel Guibert zeichnete die Bildergeschichte dazu, die mit Originalfotos kombiniert wird. Levèvre zeigt mit seiner Arbeit nicht nur die Einzelschicksale, die bei den bewaffneten Scharaden der Mächte ausgelöst werden. Er schuf außerdem ein beeindruckendes Dokument zur Arbeit der MSF, die unter teils schwierigsten Bedingungen aufzubauen versuchen, was andere zerstören.

2:46 Aftershocks – Stories from the Japan Earthquake (→ Rezension) fällt in dieser Reihe ein bisschen aus dem Rahmen: Es ist eine Sammlung von Erinnerungen, die sich alle um das Tohuku-Erdbeben und den folgdenden Tsunami von 2011 drehen. William Gibson wollte damit Geld für die Hilfsaktionen vom Roten Kreuz sammeln. Initiiert wurde das Buch durch eine Twitterkampagne. Die teils gegensätzlichen Perspektiven der Betroffenen ergeben ein außergewöhnliches Zeitzeugnis, das den Zwiespalt vieler Menschen wiederspiegelt. Ein Beispiel: Holt man die Familie aus Fukushima heraus in die sichere Umgebung seines eigenen Wohnorts? Oder zieht man dorthin und hilft, wohl wissend, dass man seine eigene Gesundheit riskiert? Ein Buch, das man nicht nur in einzelnen Passagen lesen kann, sondern auch sollte.

Jetzt seid ihr dran: Welche Bücher könnt ihr für mehr Weltoffenheit empfehlen?


Foto: Don Ross III / unsplash

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2 Kommentare

Katrin 30. November 2017 - 19:13

Das ist so eine schöne Idee, die ich unbedingt unterstützen möchte! Ich habe bei uns im Blog zweimal Literatur über und vor allem aus Afrika empfohlen. Hier: http://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/nigeria-erlesen/ und hier: http://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/auslese-buchweltreise-durch-afrika/ – kann ich nur empfehlen!

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Bettina Schnerr 30. November 2017 - 20:39

Vielen Dank für die Links, Katrin. Von diesem Kontinent kommt eine großartige Vielfalt und deine Titelempfehlungen ergänzen die Ideen von Weltreise und Weltoffenheit wunderbar.

Den Mengiste hatte ich seinerzeit übrigens ebenfalls für die Station Äthiopien gelesen. Nur online ist er nach dem Relaunch noch nicht. Ein beeindruckender Roman auf alle Fälle.

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