Jahresrückblick 2021

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit

Hinter mir liegt ein durchwachsenes Lesejahr. Aus teils unerfindlichen, teils offensichtlichen Gründen habe ich doch weniger gelesen, als ich wollte und mir vorgenommen hatte. Mir scheint, das ist genau der Grund, warum ich auf dieses Jahr trotzdem zurückschauen möchte. Als Schwungholen für all die großartigen Titel, die mich erwarten, nehme ich an. Die Fragen hole ich mir aus vergangenen Rückblicken.

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir wenig versprochen habe, das mich dann aber positiv überrascht hat?

„Wenig versprochen“ trifft in dieser Schärfe auf kein Buch richtig zu. Carl Hiaasen kommt der Idee noch am ehesten nahe. Diesen Autor hatte ich seit mehreren Jahren auf dem Radar, aber aus x Gründen nie etwas von ihm besorgt. Unter anderem lag das daran, dass er in den USA zwar ein Hit war, in Deutschland meines Wissen aber nie so richtig. Da verlor sich die Spur und der Drang, unbedingt etwas von ihm lesen zu wollen, verflüchtigte sich. Bis ich eines Tages in einem offenen Bücherschrank mit „Der Reinfall“ fündig wurde und von der spielerischen Action überzeugt wurde.

Auf Rinny Gremaud trifft die Prämisse auch nicht zu. Hier war es eher so, dass ihr Sachbuch „Verkaufte Welt“ meine Erwartungen deutlich übertroffen hatte. Ihr persönlicher Erzählstil, den sie für die Reise zu fünf verschiedenen Mega-Malls rund um die Welt gewählt hatte, machte das Buch über Konsumüberschuss und Konsumüberdruss zu einem großen Erlebnis.

Welches war das Buch in diesem Jahr, von dem ich mir viel versprochen habe, das mich dann aber negativ überrascht hat?

In diese Kategorie fallen zwei Bücher und das (im Gegensatz zur vorigen Frage) im Sinn der Frage. Da ist zum Einen der Titel von Michael Maar, mein Patenbuch beim Deutschen Sachbuchpreis 2021: „Die Schlange im Wolfspelz“ Zwar absolut kenntnisreich geschrieben, aber ich sah eine Schlüsselerwartung nicht erfüllt: „Impulse für die gesellschaftliche Auseinandersetzung“, was die Jury für ihre Nominierungen eigentlich vorausgesetzt hatte, fand ich bei Maar keine. Dafür waren die Autoren und Autorinnen, die er besprach, für mich zu wenig in der Moderne verhaftet. Ich möchte Auseinandersetzungen ausgehend vom Heute, nicht ausgehend vom Gestern.

Da ist zum Anderen Emma Jane Unsworth, deren Roman „Adults“ über eine junge Frau in einer kleinen Lebenskrise mich überhaupt nicht überzeugen konnte. Überdreht, doch auf eine für mich unfertige Art, sodass das Buch die Kurve zum Spielerischen oder Satirischen nicht bekam.

Welches war eure persönliche Autoren-Neuentdeckung in diesem Jahr und warum?

Da sollte ich Martina Clavadetscher nennen. „Die Erfindung des Ungehorsams“ gewann dieses Jahr den Schweizer Buchpreis. Mich hat ihr Buch aufgrund seiner Vielschichtigkeit überzeugt. Zwar gibt es bisher zusätzlich nur den Debütroman „Knochenlieder“ von ihr (der 2017 ebenfalls für den Schweizer Buchpreis nominiert war). Aber egal, Clavadetscher habe ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen.

Welches Buch wollt ihr unbedingt 2022 lesen und warum?

Es wäre zu einfach, hier ein paar Neuerscheinungen aus dem kommenden Frühjahrsprogramm hinzuwerfen. Also schauen wir in die Backlist und was noch ungelesen im Regal wartet. Da ist Isabel Bogdan und „Laufen“, was ich 2021 eigentlich auf dem Lesestapel hatte. Aber wie ich eingangs schon schrieb, lief das Lesejahr nicht so rund ab und Bogdans Zweitling (kann man das so sagen?) rutscht auf den Stapel für 2022. Das andere Buch liegt sträflicherweise schon länger, nämlich Olga Tokarczuk mit „Gesang der Fledermäuse“. Dieses Buch verbinde ich – auch ungelesen – mit der wunderbaren Video-Rezension von Seji (Riverhead Books) und werde die Personen im Buch beim Lesen vermutlich mit Sejis Figurensortiment verbinden.

Welches war euer Lieblings-Cover in diesem Jahr und warum?

Eines alleine könnte ich nicht auswählen. Daher wie immer eine kleine Galerie. Mit dabei ist Eula Biss, denn das Cover von „Was wir haben“ ziert ein Kunstprojekt, in dem es um Einnahmen und Ausgaben geht und das im Buch eine Rolle spielt. Dann Charles Lewinsky. Wie kann man so ein schlichtes, aber geniales und überaus passendes Bild für „Sind Sie das?“ aus praktisch nur einem Strich nicht schätzen? Rinny Gremaud kommt hinzu, weil der Verlag für „Verkaufte Welt“ eine brillante Möglichkeit gefunden hat, die Welt der Mega-Malls und die des überbordenden Konsums grafisch einzufangen.

Die quirlige Metropole Hongkong sehe ich im nächtlichen Lichtermeer von Chan Ho-Kei Cover zu „Das Auge von Hongkong“ sehr gut eingefangen, während das Cover für Petra Reski mit dem gigantischen Kreuzfahrtschiff hervorragend die bedrohliche Kulisse aufbaut, die Tourismus und windige Geschäfte für die Altstadt von Venedig bedeuten (Als ich einmal in den Canal Grande fiel). Last but not least das Cover für Frank Berzbachs „Die Kunst zu Lesen„. Das muss man eigentlich in die Hand nehmen, um sein Geheimnis zu ergründen. Denn der transparente Umschlag mit den blauen Streifen versteckt viel mehr rot gedruckten Text auf dem Buchcover, als man das auf Anhieb sieht.


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Titelbild: Bettina Schnerr

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